029 - Verfluchte aus dem Jenseits
ist?«
Aimee
schüttelte den Kopf. »Leider nein. Deshalb diese Isolation auf einem einzigen
Stück Erde, das auf keiner Karte der Welt verzeichnet ist. Die Insel ist so
etwas wie eine letzte Zufluchtsstätte von Aussätzigen, die keiner mehr haben
will. Sie ist in höchstem Grad ansteckend. Niemand ist sicher, daß er sie nicht
in der nächsten Stunde bei sich entdeckt…«
●
Als
Aimee das sagte, ließ sie ihn keine Sekunde aus den Augen, um sich seine
Reaktion nicht entgehen zu lassen.
»Aber
Sie und das Ärzteteam sind ebenfalls auf der Insel«, bemerkte der Mann ohne
Gedächtnis. »Schon eine Zeitlang, wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe…«
»Das
haben Sie.«
»Es
gibt also Schutzmaßnahmen, Impfungen oder dergleichen.«
»Nein,
es gibt sie nicht. Wir sind mit diesen Unglücklichen auf Gedeih und Verderb
verbunden. Solange wir den Erkrankungsablauf, seinen Wirkungsmechanismus nicht
erkennen, sind alle auf dieser Insel Gefangene. Ob sie nun erkrankt sind oder
nicht. Und sehen Sie, deshalb kann es nicht sein, daß Sie als Tourist hierher
gekommen sind. Rokashu ist hermetisch von der Umwelt abgesperrt. Niemand kann
hier weg und keiner betritt ohne besondere Erlaubnis die Insel.«
»Nun
verstehe ich Ihre Reaktion und die Aufregung, die mein Auftauchen verursachte«,
sinnierte der Mann, der auf unerklärliche Weise nach Rokashu gelangt war. »Vielleicht…
bin ich ein Schiffbrüchiger?«
Aimee
verneinte. »Über Funk sind wir mit der Außenwelt verbunden. Von einem solchen
Fall hätten wir gehört. Außerdem sehen Sie nicht aus wie einer, den man aus dem
Wasser gezogen hat. Ihre Kleider waren strohtrocken, als die Kinder Sie
entdeckten.«
»Das
bedeutet demnach, daß ich auch nicht aus Versehen von einer Nachbarinsel
hierher geschwommen sein kann?«
Es
war erstaunlich, daß trotz des ungewissen Schicksals, das schließlich auch der
jungen Französin drohte, sie noch so ungezwungen und fröhlich lachen konnte.
»Zum Schwimmen geht man nicht im dunklen Anzug, sondern in der Badehose.
Abgesehen davon ist ein Verschwimmen auch nicht möglich. Die nächste
Insel liegt einige hundert Seemeilen von Rokashu entfernt. Rokashu ist das am
weitesten draußen liegende Eiland. Sie sehen zwar kräftig aus, aber dieses
Stück von einer Insel zur anderen aus Versehen zu schwimmen, das ist doch mehr
als unwahrscheinlich…«
»Es
ist alles sehr unwahrscheinlich, Aimee. Meine Anwesenheit auf Rokashu ist ein
einziges Mysterium. Ich weiß nicht, wer ich bin, woher ich komme und vor allen
Dingen, wie ich hierher gelangte!«
»Jemand
scheint sich einen Scherz mit mir erlaubt zu haben!« fügte er halblaut und
nachdenklich hinzu. »Man hat mich betrunken gemacht und dann nach Rokashu
verschleppt…«
»Unwahrscheinlich
wie alle anderen Theorien«, murmelte Aimee. »Aber vielleicht fällt Ihnen zu dem
Haus und zu den Gegenständen, die Sie bei sich tragen, noch etwas ein.
Vielleicht kommt auch Ihre Erinnerung wieder, wenn Sie die ersten Symptome
lösen. Gesteigertes Bewußtsein zum Beispiel. Ein plötzlich einsetzender
Alterungsprozeß ist unter Umständen wie ein Schock für Sie…«
»Kein
heilsamer, aber ein tödlicher«, sagte der Unbekannte. Er sah sich die
vergreisten Kinder an. Sie hatten durchweg graue Haare, faltige, verwelkte
Gesichter, und sahen aus wie verhutzelte Zwerge.
Eines
der älteren Kinder wankte plötzlich, griff sich an die Brust und bewegte noch
die Lippen, um etwas zu sagen. Nur noch ein dumpfes Röcheln kam aus seiner
Kehle. Dann brach es in der Menge zusammen. Die anderen erschraken und
schrieen. Einige liefen ins Dickicht davon, als wollten sie sich vor einer
unsichtbaren Gefahr in Sicherheit bringen. Dritte wiederum begannen zu
schluchzen. Im Nu war der Reglose umringt. Auch Aimee sprang nach vorn. Sie
rief einen Namen, fühlte den Puls und legte das Ohr an die Brust des
Vergreisten.
»Nichts«,
murmelte sie dann. »Sein Herz schlägt nicht mehr. Eine typische Todesart auf
Rokashu in den Reihen derer, die die Krankheit haben. Herzversagen. Das Herz
ist zu alt, schwach und verbraucht, um seine Arbeit noch leisten zu können.«
Mit diesen Worten hob sie den kleinen leichten Körper und trug ihn auf den
Armen in den Ort, der versteckt zwischen Bäumen und Büschen lag. Die
vergreisten Eingeborenen-Kinder folgten Aimee, ließen traurig die Köpfe hängen
und waren seltsam still.
Der
blonde Mann folgte dem kleinen Trauerzug als letzter und ließ seinen Blick
beiläufig in die
Weitere Kostenlose Bücher