029 - Verfluchte aus dem Jenseits
Wieder zögerte sie, als sie das
Wort schliefen benutzte. Alles war so merkwürdig. Er erkannte es selbst,
ohne jedoch eine plausible Erklärung dafür zu haben. Wer war er? Wie kam er
nach Rokashu? Das Haus eines Lords… dort war etwas passiert… Aber was?
»Wenn
eine Tafel gedeckt war, können wir davon ausgehen, daß auch noch mehr Menschen
anwesend waren. Vielleicht hat eine Party stattgefunden?«
»Bei
der ich betrunken unter den Tisch rutschte, wie? Dann hat man mich in ein Boot
verfrachtet und zum Spaß auf einer einsamen Insel abgesetzt. Das wiederum würde
bedeuten, daß sich die Villa irgendwo in der Nähe befinden muß.«
»Irrtum…
im Umkreis von Tausenden von Meilen, Mister Unbekannt… gibt es keine Villa und
keinen Palast eines Lords… Ihr Erscheinen auf Rokashu ist ein Novum, ein
Mysterium… ein übersinnliches Phänomen, wenn Sie so wollen…« Sie blieb stehen.
Nur einen Schritt von ihr entfernt spülten Wellen an Korallengebilde, die sich
bizarr am Strand entlang zogen und die natürliche Grenze zum Wasser bildeten.
Die
Insel stieg zum Hinterland hin sanft an. Viel Grün, viele Blüten, deren Duft betäubend
die Luft erfüllte. Er sah auch Spuren im Sand. Abdrücke von nackten Füßen.
Kleine
Boote am Strand… Wieder fiel ihm dieser Umstand auf. Die Einsamkeit fing an,
ihn zu verwirren. Etwas mit seiner Anwesenheit hier stimmte nicht…
»Gut«,
sagte da Aimee, und ihre Stimme riß ihn aus seiner Nachdenklichkeit. »Ich werde
Ihnen etwas zeigen… Es ist vielleicht ganz gut so.« Kaum hatte sie geendet, gab
sie einen kurzen, scharfen Pfiff von sich. Dem ließ sie einen Ruf folgen, der
wie Tarzans Schrei durch die Insel-Wildnis schallte. Was dann geschah, war
unbeschreiblich. In Büschen und im Dickicht begann es zu rascheln, als hätte
dort jemand nur auf dieses Signal gewartet.
Schreiend
und rufend brachen sie hervor. Kleine, braune Menschen. Kinder…
Von
der Größe her schätzte der blonde Mann, der seinen Namen und seine Herkunft
vergessen hatte, sie zwischen fünf und vierzehn Jahren. Er lächelte irritiert,
und dieses Lächeln gefror ihm auf den Lippen, als er ihre Gesichter sah. Sie
waren uralt und welk. Greise und Greisinnen kamen ihm entgegen, sie gebärdeten
sich wie Kinder. Fröhlich und ausgelassen.
Sie
schrieen durcheinander, klatschten in die Hände, redeten laut und wild, so daß
selbst Aimee Mühe hatte, sie zu verstehen, obwohl sie die Eingeborenensprache
perfekt beherrschte.
»Es
sind Kinder«, stammelte der Mann mit dem blonden Haar, den rauchgrauen Augen
und dem seltsam geformten Ring am Finger. »Aber sie sehen… furchtbar aus… wie
Greise…«
Aimee
wandte ihm ihr Gesicht zu, während beide von den Kleinen umringt wurden. »Es
sind Kinder, Mister Unbekannt«, sagte sie langsam und betonte jedes Wort.
»Bedauernswerte Geschöpfe. Keines von ihnen ist älter als vierzehn Jahre. Und
daß eines von ihnen fünfzehn wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Hier auf
Rokashu leben Menschen, die ein grausames Schicksal zu tragen haben. Sie wurden
geboren, um nur einige Jahre zu leben. Ihr Stoffwechsel ist derart
beschleunigt, daß ein Jahr zehn Lebensjahren entspricht. Alle diese
greisenhaften Geschöpfe sind nach unserer kalendarischen Einteilung vier bis
vierzehn Jahre alt. Der körperliche Zustand aber entspricht dem eines Fünfzig-
bis Siebzigjährigen. Die meisten dieser Kinder werden das nächste Jahr nicht
mehr erleben, weil sie körperlich schon so sehr gealtert sind und ihre
biologische Uhr abgelaufen ist.«
Der
Mann erwiderte fest ihren Blick. »Das ist… grausam«, sagte er dann leise und
mitfühlend. »Völlig gegen die Natur.«
»Richtig.
Hier geschieht Widernatürliches im wahrsten Sinn des Wortes. Doch nicht die
Natur ist es, die beginnt, die Menschen auszurotten, sondern wir selbst tun
alles dafür. Ein unbekannter chemischer Stoff ist die Ursache dieser
Vergreisung in frühester Kindheit. Die Krankheit ist auf einer
polynesischen Insel bei den Kindern einiger Fischerfamilien zuerst aufgetreten.
Die Kinder sahen innerhalb weniger Jahre älter aus als die Eltern. Der
Weltgesundheitsorganisation wurde das massierte Auftreten dieser
Greisenkrankheit bekannt, und ein internationales Ärzte- und Forscherteam wurde
zusammengestellt und beauftragt, auf der winzigen, normalerweise unbewohnten
Koralleninsel Rokashu die Krankheit zu studieren und zu behandeln. Anfangs
glaubte man, sie wäre ansteckend…«
»Und
hat es sich herausgestellt, daß sie das nicht
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