0295 - Tal der vergessenen Toten
Sterne, und die Landschaft glich der eines utopischen Gemäldes.
Vollbremsung!
Nichtsahnend wurde Lothar Ziegler erwischt. Zum Glück hatte er sich abgestemmt, dennoch schleuderte ihn die Bremsung nach vorn. Er konnte noch seine Arme hochreißen, so daß er nicht mit dem Gesicht gegen die Scheibe donnerte.
Der Fahrer des zweiten Jeeps reagierte reflexhaft. Es glich schon einem kleinen Wunder, daß er nicht auffuhr, sondern das Lenkrad nach links drehte und sich rechts neben den ersten Wagen schob, wo er stehenblieb.
Lothar Ziegler sagte erst einmal nichts. Er hörte die anderen Soldaten schimpfen. Durch das plötzliche Manöver hatten sich einige von ihnen nicht halten können und waren aus dem Wagen gekippt.
Fluchend lagen sie im Matsch, und der Leutnant erlitt einen Wutanfall, was bei ihm nur selten passierte.
»Du verfluchter Idiot!« fuhr er den Fahrer an. »Was ist dir eingefallen, so zu…«
»Da, Herr Leutnant, da!« Der Mann reagierte überhaupt nicht auf den Anschiß. Er saß auf seinem Sitz und streckte den Arm aus.
»Verdammt, da sind welche!« meldete Schmitz vom anderen Wagen her.
Jetzt erst wurde Ziegler aufmerksam. Er blickte nach vorn und glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Durch die Nebelschwaden geisterten schattenhafte Gestalten, die allerdings keine Uniform trugen, sondern fast nackt aussahen und sehr schnell wieder von den grauen Schleiern verschluckt wurden.
Ziegler wischte über seine Augen. »Verdammt!« murmelte er. »Das ist doch nicht möglich.«
»Dann haben Sie sie auch gesehen?« fragte der Fahrer.
»Ja, zum Teufel.«
Unteroffizier Schmitz trat an den Wagen und stützte sich mit einer Hand am Blech ab. »Ich habe keine Erklärung, Herr Leutnant.«
»Wann haben Sie die mal, Schmitz. Außerdem hatte ich Sie nicht gefragt.« Lothar Ziegler schwang sich aus dem Wagen. »Sie bleiben mit den Männern hier, Schmitz. Ich schaue mir die Sache mal an. Vielleicht entdecke ich etwas!«
»Ja, Herr Leutnant!«
Lothar Ziegler bekam feuchte Hände. Er war kein ängstlicher Typ, beileibe nicht, aber dieses plötzliche Erscheinen der Gestalten hatten ihn doch ein wenig geschockt.
Wo kamen sie her?
Wieder mußte er an den schrecklichen Doppelmord denken und daran, daß man den oder die Täter noch nicht gefaßt hatte. Hinzu kamen Gerd Wiesners Aussagen. Braute sich da nicht einiges zusammen? Wurde nicht Stein für Stein zu einem Mosaik zusammengefügt?
Ziegler wußte, daß er den Lösungsknoten praktisch in der Hand hielt, aber er konnte ihn nicht entwirren.
Während die Waffen der Rekruten mit Manöver-Munition geladen waren, steckte im Pistolenmagazin des Leutnants scharfe Munition. Er öffnete die Klappe der Pistolentasche und zog seine Waffe hervor. So ganz geheuer war ihm das Ganze nicht.
Die Ellbogen schmerzten. Mit ihnen war er gegen die Scheibe gestoßen. Bald glaubte er, genau die Stelle erreicht zu haben, wo die Gestalten hergegangen waren.
Nur sah er nichts.
Eine breite, tief eingefräste Fahrspur im Boden, das war alles. Aber keine Fußspuren. Die anderen mußten wie Geister über den Erdboden geschwebt sein.
Tief atmete der Leutnant ein. Er war wirklich ratlos und schaute in die Richtung, in die auch die Gestalten gegangen waren. Noch einmal rief er sich die Szene ins Gedächtnis zurück, wobei er sich daran erinnerte, daß die Gestalten irgend jemand getragen hatten. Oder hatte ihm der Nebel dieses Bild nur vorgegaukelt?
Jedenfalls hatte sich die Brühe noch fester zusammengezogen. Der Jeep war schon nicht mehr zu erkennen, und die Gestalten würden erst recht nicht zu sehen sein.
Man stellte allmählich den Förderbetrieb ein, aber die Soldaten hatten ihre Aufgabe zu erfüllen.
Lothar Ziegler ging wieder zurück.
»Etwas gefunden, Herr Leutnant?« fragte Unteroffizier Schmitz.
»Nein.«
»Das ist wirklich ein Rätsel.«
»Ich weiß.« Ziegler stieg ein. »Fahren Sie weiter!« ordnete er an. »Wir müssen unser Ziel erreichen.«
Der Fahrer startete den Motor. Wohl war ihm nicht. Er fuhr sehr langsam an.
Der Leutnant hatte nichts dagegen einzuwenden. Seine Gedanken beschäftigten sich mit den seltsamen Gestalten und der vor ihnen liegenden Nacht. Dabei überkam ihn ein seltsames Gefühl, und er dachte daran, daß die Nacht bestimmt kein Vergnügen werden würde…
***
Auch Matthias Äcker hatte beschlossen, Feierabend zu machen. Er konnte zusehen, wie die grauen Schwaden sich immer mehr verdichteten und ihn sowie die Männer förmlich einschlossen.
Weitere Kostenlose Bücher