0296 - Manege der Geister
solchen war er gestorben.
***
Die großen Strahlerbatterien an den Lichtmasten brannten bereits, obgleich es eben erst anfing zu dämmern. Leoparden-Jenny wertete das als Zeichen dafür, daß die Vorstellung tatsächlich stattfinden würde.
»Vielleicht«, sagte Nicole mit tiefsinnigem Spötteln, »wird diese Vorstellung sogar besser als alle anderen zuvor! Es ist ja immer so, daß gerade dann alles am besten klappt, wenn der Chef sich nicht hineinmischt, am besten gar nicht da ist…«
Captain Perkins hatte sich nicht überreden lassen, Rodney Williams wieder auf freien Fuß zu setzen, nicht einmal gegen Kaution. »Was ist, wenn er immer noch besessen ist und sofort wieder anfängt zu morden, sobald er draußen ist? Die Sicherheitsverwahrung ist zu seinem eigenen Schutz und zu dem seiner Mitmenschen! Er kann ja später Haftentschädigung beantragen.«
»Das hilft ihm aber auch nicht viel«, bemerkte Jenny bitter.
Jetzt rollte der Buick in der Nähe des Haupteingangs aus. Ein Zirkusmitarbeiter wollte Tendyke sofort von dort verscheuchen, aber dann sah er Jenny aus dem Wagen steigen, und die gehörte ja immerhin zum Zirkus.
»THE GREAT RODNEY WILLIAMS’ SHOW«, las Zamorra die geschwungene Lichterkettenschrift über dem Eingang ins Zirkuszelt. Dann betrachtete er amüsiert die provisorisch zusammengebastelte Kassenzone. Tendyke grinste ebenfalls. Was der Truck innerhalb weniger Sekunden niederwalzte, ließ sich eben nicht so schnell wieder flicken. Dann aber zuckte er mit den Schultern. »Es gab eben keinen anderen Weg«, brummte er. »Normalerweise versuche ich, Zerstörungen zu vermeiden. Aber andernfalls wären jetzt alle Leoparden tot, und vielleicht wären noch andere Dinge geschehen.«
»Ich habe das Gefühl, daß es hier um viel mehr geht, als wir ahnen«, sagte Zamorra. »Das mörderische Handeln dieses Geistes muß doch einen Sinn haben. Wenn ich nur wüßte, welchen!«
»Vielleicht hätten wir die Zwillinge holen sollen«, überlegte Nicole. »Ihre telepathischen Kräfte könnten uns hier von Nutzen sein.«
»Keine Zeit. Es geht ja gleich schon los. Vielleicht sollten wir Eintrittskarten ersteigern.«
»Quatsch! Ich sorge dafür, daß Ihr freien Eintritt habt«, erklärte Jenny. »Und danach muß ich mich um meine Tiere kümmern. Hoffentlich sind sie einigermaßen ruhig. Ich fürchte, daß ihnen die Schaukelfahrt heute nachmittag nicht gerade wohlgetan hat.«
»Was passiert, wenn Sie nicht auftreten können?« wollte Nicole wissen.
»Dann muß ich das so früh wie möglich wissen und mitteilen, damit das Programm entsprechend verschoben werden kann«, sagte Jenny. »Aber ich hoffe, daß ich die Tiere unter Kontrolle bekomme.«
Sie sprach mit der Frau am notdürftig zusammengeflickten Kassenhäuschen. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihren Fahrzeugen. Sie betrat den Wagen mit den Käfigen. Die Leoparden hoben die Köpfe und sprangen dann auf. Sie waren unruhig!
»Verdammt«, murmelte Jenny enttäuscht. Sie begann, leise auf die Tiere einzureden. Dabei fragte sie sich, ob sie es überhaupt verantworten konnte, den Leoparden einzusetzen, der angeblich Lieutenant Candal getötet hatte. Wenn der wirklich Blut geleckt hatte, konnte er jederzeit wieder Appetit auf Menschenfleisch bekommen! Konnte sie das Risiko überhaupt eingehen?
Sie war von Zweifeln hin- und hergerissen.
Plötzlich zog sie den Schlüssel aus der Tasche und sperrte nacheinander die Käfigtüren auf, ohne zu begreifen, was sie da tat. Hastig verließ sie den Wagen, dessen aufgebrochene Hecktüren nicht zu verriegeln waren.
Sie betrat den Wohncontainer und warf sich auf ihr Lager. Ihre Gedanken waren ausgeschaltet. Sie spürte nicht einmal die bösartige Zufriedenheit eines Geistwesens, das sie zu ihrem Tun gezwungen hatte und jetzt triumphierend beobachtete.
Nacheinander verließen die Leoparden ihre Käfige und schoben sich durch die Containertür ins Freie…
***
Zamorra sah sich um. Er befand sich ja nicht zum ersten Mal in einem Zirkus. In Deutschland war er sogar als Zauberer in der Manege aufgetreten. Wieder fragte er sich, ob sie es hier wirklich mit Astranos unseligem Geist zu tun hatten. Das würde die pausenlosen mörderischen Angriffe auf Zamorra erklären. Astranos Rache! Aber wie kam der Geist von Deutschland nach Florida? Mußte er nicht dort spuken, wo er gestorben war?
Aber Astrano war schon zu Lebzeiten ungewöhnlich gewesen. Vielleicht setzte er das Ungewöhnliche jetzt auch als Geist fort.
Die Manege
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