0299 - In diesem Zimmer haust die Angst
und ging bis zu deren Mitte.
Ich hatte nicht genau sehen können, woher sie gekommen war, rechnete jedoch damit, daß sie das Haus verlassen hatte, in dem wir uns befanden.
So war es auch. Krol lieferte die Erklärung nach. »Er hatte versucht, das Geheimnis des Hauses zu lüften«, sagte er und lachte dabei leise. »Aber es ist ihm nicht gelungen. Es gelingt keinem. Die Menschen, die hier einmal lebten, sahen zu, als der Spuk begann, so schnell wie möglich auszuziehen. Fluchtartig verließen sie das Haus, holten die Polizei, und auch sie wurde mit dem Rätsel nicht fertig. Ein Polizist starb sogar. Der Blutfleck klebt jetzt noch an der Wand.«
Ich sah keinen Grund für eine Lüge. Demnach mußte sich alles tatsächlich so zugetragen haben, wie der Krakenmensch berichtete, und meine Furcht wurde nicht weniger.
Dem Mann, der das Haus verlassen hatte, ging es schlecht. Schwankend blieb er stehen, taumelte nach vorn, mal nach hinten und kämpfte gegen eine Macht, die ihn einfach nicht loslassen wollte.
Dann geschah es.
Ich hatte viel in meiner langen Laufbahn erlebt, so etwas aber noch nicht. Der Vorgang war abstoßend, grauenvoll und schrecklich. Man konnte ihn kaum beschreiben.
Aus dem Körper des Mannes peitschten die Arme.
Lange, glitschige, widerliche Tentakel, mit großer Wucht geschleudert und an drei Stellen gleichzeitig. Sie fanden zielsicher ihren Weg, klatschten gegen die Hauswände und saugten sich dort fest, wobei der Mensch im Zentrum dieses unheimlichen Netzes stand.
Er blieb auch stehen.
Ich konnte es nicht fassen. Es war einfach grauenhaft. Sogar aus der Stirn war ein Tentakel geschossen und hatte seinen Weg gefunden.
»Das geschieht mit den Dienern des Kraken-Götzen!« sagte Krol und lachte leise. »Er hätte nicht gehen sollen, jetzt ist es zu spät, und er wird all seine Kraft einsetzen, um die hier noch lebenden Menschen in seine Gewalt zu bekommen. Niemand entgeht seinem Schicksal…«
Nach diesen Worten schwieg er. Suko und ich hatten Zeit, über die Worte nachzudenken.
Niemand entgeht seinem Schicksal!
Auch wir würden ihm nicht entkommen. Das stand fest. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß uns das gleiche Schicksal bevorstand wie dem Mann auf der Straße.
Die Bestätigung bekamen wir bald. Krol ergriff wieder das Wort. »Alle, die in dieses Haus eindringen, werden zu einer Mutation des Kraken-Götzen. Auch ihr beide seid vorgesehen, das kann ich euch versprechen. Ich wollte euch nur zeigen, was euch bevorsteht.« Er lachte wieder und drehte sich gleichzeitig ab.
Auch wir konnten keinen Blick mehr auf die Straße werfen und schauten wieder in das Innere des Zimmers. Ich fragte mich, aus welchem Grunde er uns unter so vielen Schwierigkeiten geholt hatte.
Die Antwort war eigentlich leicht.
Wenn der Krake tatsächlich einer der Großen Alten war, lag es auf der Hand, daß Gegner ausgeschaltet werden mußten. Und wir waren nun mal die Feinde dieser uralten Götzen, die schon in Atlantis so hochverehrt worden waren.
Ich war nicht nur gespannt, was mit uns geschah, sondern lauerte auch darauf, wie es mit dem Mann auf der Straße weitergehen würde.
Krol hörte sich gern reden, denn er berichtete uns genüßlich, was er noch alles vorhatte.
»Dieses Haus gehört uns«, sagte er flüsternd. »Wir halten alles unter Kontrolle.«
Was hielt er unter Kontrolle? Ich wußte es nicht, ich wußte nicht einmal, wo wir uns befanden. Die Slums hatte ich gesehen, nur gab es viele Städte, die Slums besaßen. Dazu zählte ich auch London.
Aber dort befanden wir uns nicht mehr. Die Luft war einfach zu warm, sie schmeckte nicht nach November, sondern eher feucht und tropisch. Vielleicht befanden wir uns sogar auf der südlichen Hälfte der Erde, wer konnte das schon genau sagen?
»Die Krakenmagie ist erweckt worden«, erklärte uns Krol mit dumpfer Stimme. »Sie hat lange im Verborgenen gelauert, doch durch das Auftauchen des Mandraka wurde auch sie frei.«
Ich war selten so überrascht worden. Wie kam dieser Krake zu Mandraka, dem Schwarzblut-Vampir? Welche Verbindung existierte zwischen ihnen? Es war ungeheuerlich, wie ein gewaltiges Räderwerk, bei dem ein Zahn in den anderen griff.
Eigentlich hatte alles mit Mandraka begonnen. Er zog die Spur hinter sich, die hier endete.
Hätte ich das vorher gewußt, mein Freund Suko und ich hätten uns anders verhalten. So aber waren wir gefangen und hatten diesen Zustand eigentlich dem Trank des Vergessens zu verdanken.
Ja, hätten wir ihn nicht
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