03 Arthur und die Stadt ohne Namen
Das wird erst vorbei sein, wenn die Schatten endgültig von dieser Welt verbannt worden sind.« Er seufzte erneut. »Es wäre besser gewesen, deine Eltern hätten das Buch damals gefunden.«
Larissa spitzte die Ohren. »Sie kennen meine Eltern?«
»Oh ja.« Er machte eine theatralische Geste. »Noble Menschen, sehr feinsinnig. Und mit viel Gespür für die hohe Kunst der Poesie. Ich habe ein kleines Gedicht über sie geschrieben. Soll ich es euch vortragen?«
»Später«, wehrte Larissa ab. »Sind sie Knox ebenfalls begegnet?«
Er schüttelte den Kopf und zog ein enttäuschtes Gesicht. Weil er sein Gedicht nicht deklamieren konnte? Oder wegen Larissas Eltern?
»Deine Eltern sind tagelang unter den Straßen der Stadt umhergezogen. Sie waren in Mary King’s Close ebenso wie unter der South Bridge und in zahlreichen weiteren Katakomben. Aber Knox hat sich ihnen nicht gezeigt. So beschlossen sie, ohne das Buch der Leere in die Wüste zu reisen.«
»Haben sie Ihnen irgendwas gesagt? Wen sie dort treffen wollten vielleicht?«, forschte Larissa nach.
»Ich weiß es nicht mehr. Mein Gedächtnis ist nach diesen langen Jahren etwas löchrig geworden.« Er fasste sich bedeutungsschwer an die Stirn.
»Bitte«, beharrte Larissa. »Bitte versuchen Sie, sich zu erinnern.«
Er neigte den Kopf und schloss die Augen. »Nein, nichts. Es tut mir leid.« Er erhob sich. »Ich muss euch jetzt Lebewohl sagen. Doch ich vermute, wir werden uns schon sehr bald wiedersehen.«
»Eine Frage noch«, sagte ich schnell, ohne mich über seinen letzten rätselhaften Satz zu wundern. »Was ist denn mit Knox geschehen? Haben Sie ihn erwischt?«
Er sah mich mitleidig an. »Ein Wesen wie Knox erwischt man nicht. Drücken wir es einmal so aus: Es gibt gewisse Mittel, die mir für ihn und seinesgleichen zur Verfügung stehen. Und damit meine ich nicht das hier.« Er deutete auf seinen Stock.
»Also ist Knox weiterhin unter der Erde und führt seine ›Studien‹ fort?«
»Davon solltet ihr ausgehen. Aber keine Angst. Er wird euch nichts tun, solange ihr das Buch der Leere bei euch führt. Cheerio .«
Er wandte sich zum Gehen. »Cheerio« , riefen wir ihm nach, während er mit weiten Schritten zum Ausgang stiefelte.
»Ich bin froh, dass ihm nichts passiert ist«, atmete ich erleichtert auf. »Auch wenn es um seine Gedichte nicht schade gewesen wäre.«
»Das ist alles sehr merkwürdig«, grübelte Larissa. »Der Bibliothekar muss doch gewusst haben, dass meine Eltern in Edinburgh waren. Warum hat er uns nicht gesagt, dass wir hier nach dem Buch der Leere suchen müssen?«
»Vielleicht haben deine Eltern niemandem mitgeteilt, wonach sie suchten«, mutmaßte ich. »Der Bücherwurm hatte ja auch keine Ahnung davon. Er hätte es uns bestimmt nicht verschwiegen.«
»Aber warum haben sie es so geheim gehalten?«
»Vielleicht trauten sie den anderen Bewahrern nicht.«
»Weil es unter ihnen einen Verräter gibt?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Möglich ist alles. Schließlich waren auch die Sucher früher einmal Bewahrer.«
»Vielleicht sogar der Bibliothekar?«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht? Er wäre dafür doch am besten geeignet. Alle Informationen laufen bei ihm zusammen. Er kennt fast alle Geheimnisse der Bewahrer. Und er hätte ein Motiv.«
»Und das wäre?«
»Vom geachtetsten, aber machtlosen Bewahrer zum Machthaber der Schatten aufzusteigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, dass er äußerst unsympathisch ist und auch nicht mit offenen Karten spielt. Aber ein Verräter? Das glaube ich nicht.«
»Ich werde jedenfalls keinem mehr trauen, bis ich meine Eltern und meinen Opa wiederhabe«, sagte Larissa mit Bestimmtheit.
»Keinem?«
»Außer dir natürlich.« Sie hieb mir scherzhaft gegen die Schulter. »Komm, es wird langsam kalt. Und wenn wir vorschlafen wollen, dann sollten wir nicht zu spät in die Falle gehen.«
Kurz darauf saßen wir bei Caitlin im Esszimmer und berichteten noch einmal, was wir heute erlebt hatten. »Wissen Sie eigentlich, wieso der Park abgeschlossen war?«, fragte ich.
»Weil er nur zur Erholung für die umliegenden Anwohner gedacht ist«, erklärte sie. »Princes Street Gardens war früher ebenfalls nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, bis einer der Benutzer einmal seinen Schlüssel verloren hat. Danach war es mit der Privatheit vorbei, und man entschloss sich, einen Park für alle daraus zu machen.«
»So schöne Parks in der Innenstadt«, wunderte ich mich. »Und dann
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