03 Arthur und die Stadt ohne Namen
hilflos war. Warum wehrte er sich nicht dagegen, so abgekanzelt zu werden? Oder hatte der Oberbewahrer irgendetwas gegen ihn in der Hand, um ihn sich gefügig zu machen?
Auf jeden Fall hatte der Bibliothekar heute keine Sympathiepunkte gewonnen. Bei mir nicht und bei Larissa sowieso nicht. Ich wünschte mir, der Bücherwurm sei an seiner Stelle nach Edinburgh gekommen.
Wir verabschiedeten uns von Campbell, verließen den Buchladen und gingen den Hügel hinauf bis zum Eingang von Greyfriars Kirkyard. Hier war, wie uns der Buchhändler berichtet hatte, McGonagall in einem namenlosen Grab bestattet worden.
Ohne lange zu überlegen, beschlossen wir, ihm eine letzte Ehrerbietung zu erweisen. Immerhin hatte er uns das Leben gerettet, und wir würden wahrscheinlich nie erfahren, ob er sich erfolgreich gegen Burke, Hare und Knox hatte verteidigen können.
Es war noch hell und der Friedhof war überschaubar. Außerdem befanden sich noch einige Besucher auf dem Gelände, sodass wir uns einigermaßen sicher fühlten.
Der Schnee war inzwischen weggetaut. Wir drehten eine Runde und studierten die Grabsteine auf der Suche nach Hinweisen auf McGonagalls letzte Ruhestätte, bis wir am Flodden Wall standen. Dies waren die letzten Reste einer Stadtmauer, die nach der Niederlage der schottischen Armee bei Flodden Field Anfang des 16. Jahrhunderts rund um das damalige Edinburgh gezogen worden war.
Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt vor uns auf.
Es war Burke.
Ich spürte eine Bewegung hinter mir und warf einen Blick über die Schulter.
Es war Hare.
Verzweifelt blickte ich mich um. Gerade noch hatten sich andere Besucher auf dem Friedhof aufgehalten. Jetzt war er, bis auf uns, menschenleer.
Ich ging fieberhaft die Alternativen durch, die sich uns boten: Schreien? Hier würde uns niemand hören. Weglaufen? Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie einen von uns erwischten. Blieb nur noch der Angriff. Doch auch diesen Gedanken verwarf ich schnell, denn Burke zog grinsend das lange Messer unter seiner Jacke hervor, mit dem er bereits unter der Erde auf uns losgegangen war.
»Nett, euch wiederzutreffen«, zischte er. »Ihr habt wohl gedacht, ihr seid uns los? Aber der Doktor vergisst seine Gäste nicht so schnell. Und er brennt geradezu darauf, euch wiederzusehen.«
Blitzschnell machte er einen Schritt vor, zerrte Larissa an sich und setzte ihr das Messer an den Hals.
Ich spürte das Adrenalin in meinen Körper schießen. Meine Muskeln spannten sich an, bereit, sofort auf Burke loszugehen. Doch bevor es dazu kam, fühlte ich etwas Spitzes in meinem Rücken.
»Keine unüberlegte Bewegung«, flüsterte Hare mir ins Ohr. »Oder wollt ihr den anderen hier an diesem Ort Gesellschaft leisten?«
Burke tastete mit einer Hand Larissas Umhängetasche ab. »Was ist denn das?«, fragte er hämisch. »Das wird doch nicht etwa das Buch sein, das der Master so gerne einmal sehen würde?«
Larissa hatte sich bisher nicht gerührt. Doch als Burke das Buch erwähnte, leuchteten ihre Augen kurz auf. »Ich gebe es euch, wenn ihr uns gehen lasst«, sagte sie.
Die beiden stießen ein gemeines Lachen aus. »Wie großzügig von dir«, höhnte Burke. »Aber vielleicht wollt ihr uns nur wieder reinlegen, und das Buch ist irgendeine wertlose Schwarte?«
»Überzeugt euch selbst.« Larissa öffnete langsam den Verschluss ihrer Tasche und klappte sie auf. Burkes Hand schoss vor und zog das Buch der Leere hervor. Er zog es aus der Plastikhülle und hielt es hoch, um es genauer zu betrachten.
Dann geschah etwas Außerordentliches.
Burke gab einen markerschütternden Schrei von sich. Er ließ das Messer fallen und versuchte, mit der nun freien Hand das Buch aus der anderen Hand zu lösen. Aber es sah so aus, als habe sich das Buch untrennbar mit seiner Haut verbunden.
Und dann war er plötzlich nicht mehr da.
Nur das Buch lag an der Stelle, wo er soeben noch gestanden hatte.
Das alles geschah in Sekundenschnelle. Hare hatte vor Schreck sein Messer sinken lassen. Ich holte mit dem Ellenbogen aus und versetzte ihm einen kräftigen Schlag in die Seite. Er schrie auf und beugte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht vornüber. Ich drehte mich um und schlug ihm das Messer aus der Hand. Er schien mich gar nicht zu beachten, sondern starrte nur auf die Stelle, an der Burke verschwunden war.
Larissa hatte inzwischen das Buch aufgehoben und wieder in Hülle und Tasche gepackt. Wir ließen Hare stehen und rannten zum Ausgang. Erst als wir im
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