03 Die Auserwählten - In der Todeszone
vorstellen, dass ein Ort wie die Brandwüste auf demselben Planeten existierte. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Er fragte sich, wie all diese Tiere leben würden, wenn die Menschen wirklich ein für alle Mal von der Erde verschwunden wären.
Nach über einer Stunde erreichte er schließlich den Waldrand und betrat kahlen Felsboden. Flecken aus dunkelbrauner Erde, auf denen nichts wuchs, waren über die baumlose Fläche verstreut, von der der Schnee weggeweht worden war. Schroffe Felsbrocken in unterschiedlichen Größen lagen auf dem leicht abfallenden Hang verteilt, der in einiger Entfernung abrupt endete – an einer riesigen Klippe. Dahinter lag der Ozean, dessen tiefes Blau bis zum Horizont reichte, wo es in einer scharfen Linie auf das Hellblau des Himmels traf. Und am Rand dieser Klippe, noch etwa anderthalb Kilometer entfernt, befand sich das Hauptquartier von ANGST.
Ein gigantischer Komplex aus weitläufigen, zusammenhängenden Gebäuden, deren schmucklose, weiße Mauern nur hier und da von schmalen Fenstern durchbrochen wurden. Ein rundes Gebäude überragte die anderen wie ein Turm. Das raue Wetter der Gegend und die Feuchtigkeit des Ozeans hatten den Fassaden ziemlich zugesetzt – der ganze Komplex war außen von Rissen überzogen – trotzdem wirkten die Gebäude, als seien sie für die Ewigkeit gebaut, egal, was die Menschen oder das Wetter mit ihnen anstellten. Der Anblick rief ihm eine ganz vage Erinnerung an irgendeine Gruselgeschichte in den Sinn – über ein von Gespenstern heimgesuchtes Irrenhaus. Der passende Ort für eine Organisation, die zu verhindern versuchte, dass die ganze Welt zu einem solchen Irrenhaus wurde. Eine lange, schmale Straße führte vom Komplex in den Wald.
Thomas machte sich daran, das felsige Gelände zu durchqueren. Über der Landschaft lag eine beinahe beunruhigende Stille. Das Einzige, was er neben seinen Schritten und seinem Atem noch ganz schwach hören konnte, waren die Wellen, die sich am Fuß der Klippen brachen. Er war sich sicher, dass die Leute von ANGST ihn mittlerweile entdeckt hatten – bestimmt überwachten sie die gesamte Umgebung.
Ein leises Klappern von Metall auf Stein ließ ihn aufhorchen. Er blieb stehen und schaute nach rechts. Als hätte sein Gedanke an die Sicherheitsvorkehrungen sie erst herbeigerufen, saß da eine Käferklinge auf einem Felsbrocken, das rot glühende Auge auf Thomas gerichtet.
Er erinnerte sich an das erste Mal, als er eine Käferklinge auf der Lichtung gesehen hatte. Es kam ihm vor, als wäre das eine Ewigkeit her.
Er winkte der Käferklinge zu und ging weiter. In ein paar Minuten würde er bei ANGST an die Tür klopfen und zum allerersten Mal darum bitten, reingelassen zu werden. Und nicht raus.
Er lief bis zum Fuß des Hangs hinunter und trat auf einen vereisten Fußweg, der um den Komplex herumführte. Es sah aus, als hätte man irgendwann versucht, das karge Gelände ein wenig zu verschönern, aber die Büsche und Blumen und Bäume waren schon vor langer Zeit dem Winter zum Opfer gefallen und in den Beeten wuchs nichts als Unkraut. Thomas lief den asphaltierten Weg entlang und wunderte sich, warum noch niemand rausgekommen war, um ihn zu begrüßen. Vielleicht beobachtete ihn Rattenmann von drinnen und rieb sich die Hände, dass Thomas endlich zu ihnen übergelaufen war.
Er bemerkte noch zwei Käferklingen, die zwischen dem Unkraut in den Blumenbeeten herumwanderten und ihre roten Strahlen prüfend nach rechts und links schweifen ließen. Thomas schaute zu den nächstliegenden Fenstern hoch, doch durch das getönte Glas war nichts zu erkennen. Er hörte ein Donnern aus der Ferne und drehte sich um. Ein gigantischer Gewittersturm zog auf, die pechschwarzen Wolken waren noch ein paar Kilometer entfernt. Er sah ein paar grelle Blitze über den düsteren Himmel zucken und fühlte sich kurz in die Brandwüste zurückversetzt, in die fürchterliche Blitzattacke, die sie vor der Stadt heimgesucht hatte. Er konnte nur hoffen, dass das Wetter hier im Norden nicht so extrem war.
Er lief auf dem Weg weiter und wurde langsamer, als er den Haupteingang vor sich sah. Eine große gläserne Doppeltür erwartete ihn, und noch mehr schmerzhafte Erinnerungen schossen ihm in den Kopf. Die Flucht aus dem Labyrinth, durch die Gänge der ANGST-Labors, raus aus dieser Tür in den strömenden Regen. Er schaute nach rechts zu einem kleinen Parkplatz, auf dem ein alter Bus neben einer Reihe Autos stand. Das musste derselbe Bus
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