03 Die Auserwählten - In der Todeszone
nicht nur, um einander höflich Platz zu machen. Sie wollten sich offensichtlich nicht zu nahe kommen. Genau wie im Einkaufszentrum trugen viele Atemmasken oder drückten sich beim Gehen ein Stofftuch an Mund und Nase.
Die Wände waren mit Plakaten und Zetteln zugekleistert, viele davon halb heruntergerissen und vollgesprüht. Auf manchen wurde vor Dem Brand gewarnt und wie man sich schützen sollte; andere verboten das Verlassen der Stadt oder gaben Anweisungen, wie man sich verhalten sollte, wenn man auf einen Infizierten traf. Es gab auch Plakate mit fürchterlichen Fratzen von Cranks, die völlig hinüber waren. Thomas sah auch mehrmals das Gesicht einer ernst wirkenden Frau mit strenger Frisur in Großaufnahme, unter dem der Slogan stand: KANZLERIN PAIGE LIEBT EUCH.
Kanzlerin Paige. Thomas erkannte den Namen sofort. Brenda hatte gesagt, man könne ihr trauen – ihr allein. Er wollte Brenda nach ihr fragen, zögerte aber. Vielleicht wartete er damit besser, bis sie allein waren. Auf der Fahrt fielen ihm noch viele weitere Plakate mit ihrem Bild auf, aber die meisten waren mit Graffiti verschmiert. Unter den vielen Teufelshörnern und den albernen Schnurrbärten war schwer festzustellen, wie die Frau nun wirklich aussah.
Sicherheitsleute patrouillierten in großer Zahl auf den Straßen – Hunderte waren es. Alle trugen rote Hemden und Gasmasken, in der einen Hand eine Waffe und in der anderen eine tragbare Kleinausgabe des Virustestgeräts, in das Thomas und seine Freunde vor dem Betreten der Stadt geblickt hatten. Je weiter sie sich von der Stadtmauer entfernten, desto schmutziger wurden die Straßen. Alles lag voller Müll, Fensterscheiben waren eingeworfen, fast jede Wand war beschmiert. Und obwohl sich die Sonne hoch oben in den Fensterscheiben spiegelte, war es am Fuß der Hochhäuser düster.
Das Taxi bog in eine Gasse ein, die völlig menschenleer vor ihnen lag. An einem Betonklotz, der sich mindestens zwanzig Stockwerke in die Höhe erstreckte, hielt es an. Der Fahrer ließ Jorges Karte aus dem Schlitz springen und gab sie ihm zurück.
Als sie alle auf der Straße standen und das Taxi davongefahren war, zeigte Jorge auf den nächstgelegenen Aufgang. »Da ist Nummer 2792, im ersten Stock.«
Minho pfiff durch die Zähne: »Mann, sieht das gemütlich aus.«
Thomas musste zustimmen. Der Wohnblock mit seinem blanken Beton und dem stumpfen, mit Graffiti bedeckten Grau wirkte alles andere als einladend. Er verspürte wenig Lust, die Treppe hochzusteigen und herauszufinden, wer da auf sie warten mochte.
Brenda gab ihm einen Schubs von hinten. » Du wolltest hierherkommen, jetzt geh auch vor.«
Thomas schluckte mühsam, sagte aber nichts, sondern ging einfach in das Treppenhaus und langsam Stufe für Stufe hoch, die anderen drei folgten ihm. Die verzogene, gesplitterte Holztür von Apartment Nummer 2792 sah aus, als sei sie vor tausend Jahren eingebaut worden – von der grünen Farbe waren nur noch letzte verblichene Überreste da.
»Das ist doch Wahnsinn«, flüsterte Jorge. »Kompletter Wahnsinn.«
Minho schnaubte. »Thomas hat den schon mal zu Brei gehauen. Das schafft er heute auch.«
»Wenn er uns nicht gleich mit einer Kugel in den Kopf begrüßt«, wandte Jorge ein.
»Könnt ihr einfach mal die Klappe halten?!« Thomas gingen fast die Nerven durch. Er klopfte schnell an die Tür. Ein paar nervenzerfetzende Sekunden später ging sie auf.
Thomas erkannte auf den ersten Blick, dass der schwarzhaarige junge Kerl, der vor ihm stand, Gally war. Ohne jeden Zweifel. Sein Gesicht war allerdings stark verunstaltet, voll wulstiger Narben, die wie dünne, weiße Nacktschnecken aussahen. Sein rechtes Auge wirkte, als sei es dauerhaft angeschwollen, und seine Nase, die schon vor der Sache mit Chuck leicht schief gewesen war, war missgestaltet und krumm.
»Gut, dass ihr gekommen seid«, sagte Gally mit seiner rauen Stimme. »Das Ende der Welt steht kurz bevor.«
Gally trat zurück und öffnete die Tür ganz. »Kommt rein.«
Schuldgefühle überkamen Thomas, als er sah, wie er Gally zugerichtet hatte. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er nickte ihm nur zu und überwand sich, die Wohnung zu betreten.
Es war ein dunkler, aber sauberer Raum ohne Möbel; es roch nach gebratenem Speck. Das große Fenster war mit einer gelben Decke verhängt, was das Zimmer in ein seltsames Zwielicht tauchte.
»Setzt euch«, sagte Gally.
Thomas wollte unbedingt wissen, wie der Rechte Arm erfahren hatte, dass
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