03 - Feuer der Liebe
begleitet,
wenn man den Lakaien mitzählte, der vor seiner Sänfte und den bahareas herlief,
die diese trugen. Schreie und Rufe hallten durch die Straßen. Man konnte keinen
Spaziergang machen, ohne von Fackelträgern angesengt oder von nakeeves, die
ihren Herren den Weg frei machten, beiseite geschubst zu werden.
Besonders störend fand er die zahlreichen Elefanten, die durch die Straßen
stapften, denn sie hatten die dumme Angewohnheit, beim Gehen zu urinieren.
Und er musste sich eingestehen, dass
er sein Dorf vermisste. Dort gab es nur eine höher gestellte Persönlichkeit:
Richard Jerningham. Und Jerningham beschäftigte nur einen nakeeve, der
ihm den Weg frei machte, und einen Pagen, der seinen Sonnenschirm trug.
Sudhakar hatte Jerningham immer für einen aufgeblasenen Langweiler gehalten,
aber nun wurde ihm klar, dass er das wahre Ausmaß an Aufgeblasenheit, dessen
sich Jerningham hätte befleißigen können, nicht einmal erahnt hatte.
Das Leben auf der Fortitude dagegen
war ihm vertraut vorgekommen. Die vier Passagiere kamen ihm vor wie Gefangene
in einem kleinen, schwankenden Dorf, die von den üblichen Ängsten, Vorurteilen
und Gefühlen geplagt wurden. Zuerst ignorierten die englischen Gentlemen
Sudhakar und betrachteten ihn mit herablassender Geringschätzung, wie es diese
Menschen immer taten, wenn sie den anderen als gesellschaftlich niedriger
gestellt ansahen. Das war vollkommen vertraut; Jerningham hatte dieselbe
Verachtung gezeigt bis er erkannte, dass Sudhakar der einzige englisch
sprechende Schachspieler im Dorf war.
Nach wenigen Wochen veranlasste die
Langeweile die drei Engländer, sich dem Inder zu nähern. Sie waren jünger als
der Inder und kehrten nach ihrem Dienst in der Armee der Ostindienkompanie
nach England zurück. Sudhakar vermutete, dass dieser Dienst nicht sehr
glanzvoll verlaufen war. Bald darauf spielten die vier jeden Abend Karten
miteinander.
Zumindest einer von ihnen, ein
gewisser Mr Michael Edwardes, gestand sich heimlich ein, dass ihn der
Eingeborene nachhaltig beeindruckte. Sudhakar war ordentlich gekleidet, besaß
gute Manieren und war intelligent. Sehr intelligent sogar. Der Inder hatte
jedes Mal ein unangenehmes Glitzern in den Augen, sobald Michael ein wenig zu
schwindeln begann. Aber man konnte doch über die Zeit in der Armee wirklich
nicht die Wahrheit erzählen. Das tat man einfach nicht. Man musste Geschichten
über waghalsige Vorstöße erfinden, sonst wäre die Schilderung des Militärlebens
so enttäuschend und profan wie in Wirklichkeit.
Nachdem das Boot angelegt hatte,
verschwanden die drei jungen Männer eilig in der Abenddämmerung. Ihr
Versprechen, Sudhakar durch die winkeligen Gassen von London zu führen, hatten
sie vollkommen vergessen. Michael erinnerte sich erst am späten Abend daran,
als er seiner Schwester Ginny von der Schlacht bei Taipur erzählte (und seinem
Bericht ein wenig zusätzlichen Glanz verlieh, damit er nicht so langweilig
war). Aus irgendeinem Grund musste er an Sudhakar denken und schlug sich
fluchend auf das Knie.
»Was ist los?«, fragte Ginny. Sie
war eine intelligente Frau, der es schwer fiel, die Erinnerungen an ihren
schüchternen, kleinen Bruder mit seinen heroischen Abenteuern auf dem
Schlachtfeld in Einklang zu bringen.
»Ich habe völlig diesen alten Knochen
auf dem Schiff vergessen«, sagte Michael. »Ich hatte versprochen, ihn sicher
zu seinem Ziel zu bringen. Wo zum Teufel wollte er noch hin? Zum St. Jamess
Square, glaube ich.«
»Oh, das liegt gleich in der Nähe
des Parkes«, sagte Ginny. »Eine sehr vornehme Adresse.«
Ihr Bruder zuckte die Achseln.
»Vielleicht war er der Onkel des Butlers. Aber jetzt erzähle ich dir, was passiert
ist, nachdem ich den Radscha gefangen genommen hatte.«
Sudhakar hatte nicht erwartet, dass ihm die
Engländer tatsächlich helfen würden. Sie waren jung und dumm. Außerdem benötigte
er keine Hilfe. Ein Wachtmeister schickte ihn zu einer Reihe wartender
Droschken.
London war vierzig Mal schlimmer als
Kalkutta, das erkannte Sudhakar sofort. Kutschen, Pferde und Passanten
drängten sich auf engem Raum und der Lärm war noch lauter als der in den
Straßen von Kalkutta. Wohin wollten nur all diese Pferde so schnell? Sein
Fahrzeug wäre beinah mit einer vorbeirasenden Kutsche zusammengestoßen, und als
er ihr nachblickte, sah er, wie einer der Lakaien, die hintendraufstanden,
beinah den Halt verlor. Bei einem Sturz wäre der Diener sicherlich zu Tode gekommen.
Im Rückblick erschien
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