03 - Feuer der Liebe
versteht es nicht«, flehte
sie. »Er ist Engländer und er hat noch nie im Ausland gelebt. Es fällt ihm
schwer zu glauben, dass eine Medizin aus Indien seinen Zustand heilen wird.«
»Seinen Zustand heilen kann«, korrigierte
Sudhakar sie. »Außerdem stammt die Hauptzutat gar nicht aus Indien. Die Medizin
kann seine Kopfschmerzen nur heilen, wenn seine Verletzung bestimmte Merkmale
aufweist.«
»Aber wenn ich dich richtig
verstehe, wird sie ihm auf gar keinen Fall schaden«, beharrte Gabby. »Es
besteht also kein Risiko, wenn wir es versuchen.«
»Wenn man bei der Verabreichung
keinen Fehler macht, wird die Arznei keinen weiteren Schaden
verursachen«, stimmte Sudhakar ihr zu. »Ich gebe zu, dass ein kleines Risiko
existiert. Aber ich betone, ein Patient hat das Recht, seine Medizin selbst zu
wählen. Ich behandele niemanden ohne sein Einverständnis. Gabrielle, der Trank
besteht aus einem tödlichen Gift. In den falschen Händen hat er bereits
Menschen umgebracht. Unter diesen Umständen ist es doppelt wichtig, dass der
Patient entscheiden kann, ob er das Risiko eingehen möchte.«
»Es ist doch nur zu seinem Besten«,
protestierte Gabby heftig. Sie war kurz vor einem hysterischen Anfall.
Schlafmangel, Kummer und Schuldgefühle verursachten ihr ein quälendes Pochen
in den Schläfen.
»Wir ...« Sudhakar korrigierte sich.
»Ich zwinge niemanden, sich meinem Willen zu beugen. Du bist heute Morgen
deinem Vater erschreckend ähnlich, Gabrielle.«
»Meinem Vater? Meinem Vater sind
andere Menschen doch völlig egal!« Es tat gut, das laut auszusprechen. »Genau darüber
denke ich nach, seit ich das Schiff nach London bestiegen habe. Er macht sich
nichts aus mir, er hat sich noch nie etwas aus mir gemacht!«
»Die Liebe spielt dabei gar keine
Rolle. Dein Vater ist davon überzeugt, dass er genau weiß, was das Beste für
die Dorfbewohner ist. Und er sorgt dafür, dass seine Ansichten durchgesetzt
werden, egal, ob die Betreffenden einverstanden sind oder nicht.«
Einen Moment lang herrschte
unheilvolle Stille.
»Ich kann nicht glauben, dass du
mich mit meinem Vater vergleichst.« Gabby stand wie gelähmt und blickte ihn
mit hoch erhobenem Kopf an.
»Ich sage das, was ich sehe«, war
seine Antwort, unbestechlich und dennoch sanft. »Wenn dein Mann nichts von
meiner Medizin wissen will, dürfen wir sie ihm nicht hinter seinem Rücken
verabreichen. Es ist seine Entscheidung.«
Gabby griff seinen Vorwurf noch
einmal verzweifelt auf. »Mein Vater erlaubt den Menschen, Entscheidungen zu
treffen. Er zwingt sie nur, das Dorf zu verlassen, wenn sie anderer Meinung
sind. Ich sehe da keine Gemeinsamkeiten. Ich liebe meinen Mann, und ich will
nicht den Rest meines Lebens dabei zusehen, wie er leidet. Ich werde ... ich
werde ihn verlassen müssen.«
»Ihn zu verlassen, ist dann deine Entscheidung. Ich habe Patienten gesehen, die vor ihren sterbenden
Partnern geflohen sind, und ich hatte Mitgefühl. Es gibt nichts Schlimmeres,
als einen geliebten Menschen leiden zu sehen.«
Ihre Lippen zitterten. »Es tut mir
Leid, Sudhakar, ich wollte dich nicht daran erinnern.«
»Mein Sohn ist vor langer Zeit
gestorben.« Er klang müde. »Und die Zeit vergeht.«
Gabby ließ nicht locker. »Als Johore
im Sterben lag, hast du jedes erdenkliche Mittel ausprobiert. Weißt du noch,
als ich zu dir kam und du ihm die Medizin gabst, die ich dir gebracht hatte?
Er wusste nicht, dass du ihm diese Arznei verabreichen würdest, und er hätte
sich wahrscheinlich geweigert. Du weißt, dass Johore meinen Vater gehasst hat.«
»Johore Johore lag im Sterben«,
sagte Sudhakar. »Er konnte keine Entscheidungen mehr treffen.«
»Ich sehe da keinen Unterschied«,
protestierte Gabby leidenschaftlich.
Sudhakar verzog keine Miene. »Der
Unterschied besteht darin, dass dein Vater Spaß daran gehabt hätte, einem
Menschen heimlich eine Medizin zu verabreichen — jemandem, der ganz sicher nicht sterben würde. Dein Vater glaubte zu wissen, was das Beste ist, und er hat
nach seinem Gutdünken den anderen seine Regeln, seinen christlichen Glauben und
seine Moralvorstellungen aufgezwungen. Es würde mich tief enttäuschen, wenn du
dieselben Methoden anwendest.«
»Aber was zwischen Quill und mir
geschieht ist etwas völlig anderes. Ich liebe ihn!«, rief sie.
»Ich sehe da keinen großen
Unterschied.« Er blickte sich in der Bibliothek um. »Es war mir ein Vergnügen,
dich wiederzusehen, kleine Gabrielle. Und es freut mich zu sehen, dass
du als
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