03 - Geheimagent Lennet und die Saboteure
beide tun nichts, um den Anschlag zu vereiteln. Youyou war knallrot vor Zorn. Ich hab Ihnen schon einmal erzählt, daß die englischen Männer sehr selbstbeherrscht sind und nie aus der Rolle fallen. Manchmal aber, das soll auch vorkommen, vergessen sie ihre gute Kinderstube und sind alles andere als Gentlemen.«
»Oh - Sie müssen ganz schön ,geladen' sein, Clarisse, daß Sie mir so etwas sagen können, mir, einem kleinen Nichtsnutz vom Festland drüben. Bitte, zermartern Sie sich nicht Ihr Köpfchen.
Ich kann gar nicht verstehen, warum Youyou wie ein Rohrspatz wettert. Er müßte, im Gegenteil, sehr zufrieden sein.«
»Zufrieden? Wieso?«
»Wir wissen jetzt, daß die Anschläge mit Zeitzünder erfolgen.
Wir wissen ferner - genau wie erwartet -, daß kein Tourist aus unserer Gruppe mit der Sache zu tun haben kann: Die Sprengladung ist nur zehn Minuten nach unserer Abfahrt hochgegangen.«
»Na gut", sagte die junge Engländerin, »aber worüber der Colonel so beunruhigt ist, wiegt ja viel schwerer. Sehn Sie mal, Lennet: Bis jetzt hatte die Regierung verhindern können, daß die Zeitungen in die Sabotage-Affären groß einstiegen. Damit ist es jetzt vorbei, denn die Explosion dort draußen hat sich sofort herumgesprochen, und die Presse walzt alles hübsch aus. Heute sind es noch die englischen Zeitungen, und morgen schreiben die Blätter im Ausland darüber. In wenigen Tagen werden die Saboteure ihr Ziel erreicht haben: Das Prestige Großbritanniens ist auf dem Nullpunkt.«
Die beiden jungen Leute gingen in Richtung Queen-Victoria-
Denkmal. Lennet blieb auf einmal stehen, schob seine Hände unter die Ellenbogen von Clarisse und sagte: »Sie werden doch nicht im Ernst annehmen, daß eine Gruppe übler Burschen auf einem kleinen Landfriedhof ein Bäumchen in die Luft jagt, um Englands Ruf im Nahen Osten zu schaden - oder?«
»Natürlich nicht", erwiderte Clarisse, »aber Colonel Hugh denkt nun einmal so.«
»Typisch Engländer - da helfen auch keine gute Ausbildung und keine moderne Umwelt. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch ein anderes finsteres Motiv hinter den Sabotagen steckt, soll man doch damit aufhören, die Schuldigen unter Franzosen zu suchen! Soll ich Ihnen sagen, wie ich denke, Clarisse?
Die Herrschaften, die den edlen Sessel bei Sir Alexander Huddlestone-Fuddlestone hochhopsen ließen und die das Bäumchen auf dem Friedhof in die Luft jagten, sind Engländer, die ein alttraditionelles College besucht haben und heute noch dessen Farben tragen. Als Kinder haben sie vaterländische Lieder gesungen, später dann in Cambridge oder Oxford studiert. Diese Leute sind die Drahtzieher glauben Sie mir, Clarisse.«
»Das kann ich Ihnen nicht abnehmen", meinte die junge Engländerin, »wer sollte bei uns ein Interesse daran haben, solche Werte zu zerstören?«
»Und welcher Ausländer dächte schon daran, daß die Vernichtung englischer Baudenkmäler irgendeinen Sinn, irgendeinen Nutzen haben könnte? Überlegen Sie doch einmal ganz ruhig, Clarisse!«
»Sie halten also die Attentate für einen schrulligen Zeitvertreib?«
»Keineswegs. Ich bin aber fest davon überzeugt, daß die Schädigung des englischen Ansehens nicht das wahre Motiv der Anschläge ist.«
»Was ist es dann?«
»Kann ich noch nicht sagen", antwortete der Franzose etwas zögernd, »aber meiner Ansicht nach steckt hinter den Sabotagen ein rein materielles Interesse. Verlassen Sie sich drauf, Clarisse: Ich werde das schon bald beweisen können. Übrigens, was ich noch fragen will: Wie sind Sie mit Youyou verblieben?«
»Er will mich erst Montag wiedersehen und dann über meinen weiteren Einsatz entscheiden. Seine Anweisung wird sicher nicht sehr ermunternd sein.«
»Denk ich auch", meinte Lennet, »aber die Vereinbarung kommt mir sehr gelegen. Kurz gesagt, liebe Freundin: Bis Montag müssen wir reinen Tisch gemacht haben!«
»Bis Montag?« fragte Clarisse ganz verdattert, »Sie wollen mich wohl verulken?«
»Nein, dazu ist die Lage viel zu ernst. Jetzt hören Sie genau zu, was ich Ihnen sage, ja? Die Presse ist aufgescheucht, und die Saboteure werden nicht warten, bis die ganze Bevölkerung hellwach ist und bis man die Baudenkmäler völlig abschirmt.
Sie werden sofort zu neuen Schlägen ausholen und dann untertauchen. Ich vermute, daß die Machenschaften mit einer Wette, mit irgendwelchen materiellen Gewinnen oder ähnlichen Schachzügen in Zusammenhang stehen. Und ich nehme gleichzeitig an, daß größere Risiken und
Weitere Kostenlose Bücher