03 - Geheimagent Lennet und die Saboteure
Verhör von Pouillot hat nichts Greifbares ergeben. Ich frage mich nur, warum Sie mich überhaupt gebeten haben, die Vernehmung zu veranlassen.
Etwa, um mich zu blamieren? Das wäre gemein von Ihnen, Lennet. Ich habe Mr. Beauxchamps keine Silbe von uns gesagt, aber er ist schlecht auf Sie zu sprechen. Er behauptete heute früh, Sie hätten eine ,selten dämliche Frage' an ihn gestellt - im Zusammenhang mit dem Blitzableiter an der Saint-Paul-Kathedrale -, und er habe diese Frage an Youyou weitergeleitet.«
»Sie haben Billy gesehen?«
»Ja, ich sagte es ja eben. Ich bin morgens in unser Office gegangen, und da Mr. Beauxchamps gerade Offizier vom Dienst war, habe ich gleich mit ihm gesprochen.«
»Bitte, Clarisse, erzählen Sie mir, wie das Verhör von Baby-Chou verlaufen ist, ja?«
»Viel weiß ich nicht", erwiderte die junge Engländerin, »aber er soll jedenfalls erklärt haben, daß er eine Schwäche für die antike Kunst habe und daß er sich eine bestimmte, halb vermoderte Mumie gern etwas näher ansehen wollte. Außerdem soll er gesagt haben, daß ihn die anderen Touristen ewig daran hinderten, sich zu konzentrieren.«
»Wer hat ihn vernommen?« wollte Lennet wissen.
»Mr. Beauxchamps.«
»Ob er vielleicht aus der Rolle gefallen ist?«
»Ich hoffe nicht", meinte Clarisse, »ein Gentleman bleibt immer ein Gentleman.«
»Das hoffe ich auch!«
Clarisse setzte das Gespräch in etwas kühlerem Ton fort und fragte Lennet: »Was ist nun bei der ganzen Geschichte herausgekommen? Baby-Chou für einen berufsmäßigen Saboteur zu halten, dürfte wohl das Abwegigste sein, was jemals im Kopf eines Franzosen umherspukte!«
»Wenn Sie sich nur nicht irren, Clarisse. Ich hoffe, Ihnen morgen früh etwas Neues, Wichtiges sagen zu können.«
Die junge Engländerin machte ein enttäuschtes Gesicht. Sie wollte noch irgend etwas bemerken - da schlug es von den Kirchtürmen neun Uhr. Kurz darauf brach die Touristengruppe zur neuen Rundfahrt auf.
Clarisse Barlowe angelte sich das Mikrofon und sagte:
»Meine Damen und Herren, wir starten nun zur letzten Besichtigung innerhalb Londons. Der heutige Tag wird für Sie besonders angenehm sein, denn wir bleiben die meiste Zeit im Bus. Am Vormittag sehen wir uns die westlichen Viertel der Stadt an. Am Hyde-Park haben Sie Gelegenheit, sich für sieben Minuten etwas die Füße zu vertreten. Wir werden auch den St.-
James-Palast sehen. Nachmittags unternehmen wir dann einen Ausflug in die Umgebung der Hauptstadt.«
Lennet führte sich den ganzen Vormittag hindurch mustergültig auf. Er protestierte auch nicht, als wieder einmal zwei ominöse Namen genannt wurden: eine Straße hatte die Bezeichnung eines Hügels und war gar kein Hügel, und eine andere Straße hatte den Namen eines Tores und war kein Tor.
Der junge Geheimagent verfolgte in diesen Stunden einen bestimmten anderen Kurs: Er bemühte sich eifrig, Baby-Chou ins Gespräch zu ziehen, und war so nett zu ihm wie nie zuvor.
Der junge Herr Pouillot sah etwas mißmutig drein. Ob er sich geärgert hatte? Ob er schlecht geschlafen hatte?
Der Franzose und der »kleine Kohlkopf" saßen, wie an den vorangegangenen Tagen, wieder im Bus nebeneinander.
»Fühlst du dich heute in deinem Sessel nicht wohl?« fragte Lennet. »Hast wohl gestern abend zuviel gegessen, was?«
»Gegessen? Ich hab abends überhaupt nichts mehr zu mir genommen. Außerdem: Etwas wirklich Gutes wird einem ja hier in London nicht vorgesetzt.«
»Sag das nicht", erwiderte der Franzose, »ich esse jeden Abend ganz vorzüglich.«
»Wie ist das möglich?«
»Ganz einfach. Ich kenne die richtigen Lokale!«
»Und ich kenne kein einziges", sagte Baby-Chou mit trauriger Miene.
Die Unterhaltung stockte für einen Augenblick, dann ging Lennet wieder zur Attacke über: »Sag mal, wo warst du eigentlich gestern abend? Ich wollte dich zu einem guten Tropfen einladen, aber du warst schon verschwunden. Schade.«
»Wenn du willst", sagte Baby-Chou, »können wir ja heute mittag zusammen essen. Ich will deine Einladung gern annehmen.«
Der Franzose wackelte einmal kurz mit dem Kopf und meinte:
»Ach nein - weißt du, zwei Stunden sind für ein ausführliches Gespräch nicht genug. Erst recht, wenn man keine gute Laune hat, so wie du heute.«
Um halb eins war Lennet kurz in seinem Hotel und sah nach, ob Billy eine Nachricht geschickt hatte. Der junge Agent hatte richtig kombiniert: Ein Brief von Beauxchamps war da.
»Alter Knabe", hatte Billy hingekritzelt, »Sie
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