03 - Geheimagent Lennet und die Saboteure
doch einigermaßen erstaunt und gab auch nicht mehr Kontra.
»Das Schönste kommt erst noch", fuhr der junge Geheimagent mit seinem Bericht fort. »Als sich Baby-Chou auf der Geschäftsstelle der Stiftung vorstellte, schlug man ihm vor, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Wissen Sie, Clarisse, wie dieser sogenannte Wettbewerb aussieht? Es gilt, sich in Londoner Museen einschließen zu lassen und dort möglichst viele Stunden zuzubringen - mutterseelenallein, nur in Gesellschaft der ausgestellten Kunstwerke. Es gilt ferner, über mehrere Objekte, die dem Wettbewerbsteilnehmer besonders gut gefallen, einen Aufsatz zu schreiben. Die Qualität des Aufsatzes und die nachgewiesene Anzahl der ,einsamen Denkerstunden' werden dann so und so bewertet. Na, was sagen Sie, Clarisse?
Da sind Sie baff, wie?«
Die junge Engländerin war mehr als baff. Sie sagte überhaupt nichts mehr und schüttelte nur noch den Kopf.
Lennet erzählte weiter, was er von Baby-Chou erfahren hatte:
»Ja, und selbstverständlich verlangt man von den Kandidaten strengstes, allerstrengstes Stillschweigen. Sollten sie es wagen, bei der englischen Polizei zu ,singen', würden sie sofort disqualifiziert werden. Andererseits: Dem Sieger in dem ominösen Wettbewerb winken nicht weniger als zehntausend Francs!
Die Lage drüben in Frankreich sieht jetzt folgendermaßen aus: In sämtlichen Schulen werden genaue Ermittlungen angestellt. Die Nachforschungen richten sich vor allem auf die Klärung zweier Fragen: 1. An welchen Schulen waren in der letzten Zeit ähnliche Stipendien vermittelt worden, und welche Schüler waren zur Zeit der verschiedenen Attentate in England?
2. Von welchen Schulen würden in der nächsten Woche erneut Stipendiaten in London zu erwarten sein?«
»Moment mal, lieber Freund", sagte Clarisse auf einmal und guckte scharf wie Sherlock Holmes in die Augen des Franzosen,
»ich glaube, jetzt dämmert es bei mir...«
»Der Meister hört", erwiderte Lennet.
»Die Saboteure selbst haben die Geschichte mit den Stipendien eingefädelt, um die Polizei irrezuführen. Sie schicken Leute los, die sich logischerweise verdächtig machen, und wissen genau, daß wir den Betreffenden nichts anhaben können.«
»Bravo, Clarisse, die Hälfte der Wahrheit haben Sie schon erfaßt. Bitte, könnten wir jetzt das Auto nehmen und in Ihr Office fahren? Ich will unbedingt noch einmal die Akten wälzen.«
»Muß das sein?« fragte die junge Engländerin. Der Gedanke, schon jetzt wieder in der Höhle des Löwen Youyou zu erscheinen, war ihr nicht gerade angenehm.
»Angst?«
»Nein - warum auch?«
Der Franzose nahm Clarisse an die Hand und ging mit ihr schnell zur Parkstelle des Sportwagens. Dann brausten die beiden los.
Von der Straße sah es so aus, als würde in dem großen Gebäude des Geheimdienstes alles schlafen. Irrtum, die Offiziere und das Personal vom Dienst waren auf ihren Posten.
Im Fernschreiber-Saal ratterten die Maschinen.
William Beauxchamps döste in einem leeren Raum auf einer Holzbank. Als Clarisse und Lennet durch die Tür traten, setzte er sich auf und brummte: »Ausgerechnet jetzt, alter Knabe? Und Sie, kleines Mädchen? Lassen sich hier sehen, nachdem Sie den großen Boß in Rage gebracht haben?«
Der Franzose fuhr elegant dazwischen und fragte dann: »Ist aus Paris eine Nachricht für mich da, Billy?«
»Es ist", sagte Beauxchamps kurz. Er ging in den Fernschreibraum hinüber und kehrte nach wenigen Sekunden mit einer Papierfahne zurück. »Hier - ist gerade dechiffriert worden.«
Lennet sah kurz auf die Anweisungen für die Entschlüsselung des Fernschreibens und las:
»Zu Ihrer Kenntnis:
1. Geschäftsstelle angegebene Organisation leer vorgefunden. Archiv nicht vorhanden.
2. Liste Stipendien-Empfänger letzten Jahres noch unvollständig.
3. Huchet Patrick, Schüler an Claude-Bernard-Gymnasium, erhielt Reisestipendium für nächste Woche. Hat bereits nachmittag elterliche Wohnung zu Abfahrt London verlassen.
Stop und Ende.«
Als Billy meinte, der Text sei überhaupt nicht verständlich, sagte Lennet genau das Gegenteil: »Mir ist jetzt hundertprozentig klar, daß wir mit neuen Attentaten zu rechnen haben. Übrigens, was treiben Sie heute nacht schon wieder hier, Billy? Hatten Sie gestern nicht auch Dienst?«
»Wenn Youyou kocht", erwiderte William Beauxchamps, »ist es immer Balsam für ihn, wenn alle verfügbaren Agenten im Stall bleiben.«
»Ach, so ist das", murmelte der Franzose und fragte dann:
»Könnte ich
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