03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
aufgestanden waren, schloss sich wie früher an die Heilstation an und daran grenzte die neue Schule. Von außen wirkten alle drei Abteilungen wie ein langes Gebäude. Die aus hellem, noch unverputztem Stein errichteten Mauern mit den sechs scheibenlosen Fenstern waren mit Blech eingedeckt. Zuvor hatten wir Palmwedel und langes Gras verwendet, was zwar hübscher war; doch der Brand hatte bewiesen, wie gefährlich diese Bauweise war. Das Blech war zwar teurer, aber haltbarer.
Hinter dem langen Vielzweckhaus, gleich neben dem breiten Einfahrtstor, lag die neue Kapelle, die auf die gleiche schlichte Weise errichtet worden war wie zuvor. Auf der gegenüberliegenden Seite, nah beim alten Farmhaus, befanden sich das kleine steinerne Kochhaus, das traditionell mit Blättern gedeckt war, und daneben ein altes Lehmhaus, das als Speicher diente. Dazwischen befand
sich unser Brunnen, der nachmittags im Schatten eines Baums lag. Dem Blutbaum verdankten wir die Zutaten für eine wichtige Schmerzmedizin.
„Ich fahre mit Choga heute nach Jos, um Lape zu besuchen“, verkündete Mama Bisi, sobald das Frühstück beendet war. Amara, die als einzige außer Magdalena Auto fahren konnte, versprach, uns zu chauffieren.
Meine Mentorin hatte mich immer wieder angeschaut. Irgendetwas wollte sie mir noch sagen, bevor wir aufbrachen. Als es so weit war, nahm sie mich zur Seite. „Lass mich mal in deine Augen sehen.“ Sie schnalzte leise mit der Zunge, was sie immer tat, wenn ihr etwas nicht gefiel. „Ich hab's doch richtig gesehen. Deine Augen sind leicht entzündet. Du hast wohl etwas reinbekommen. Tut es dir weh?“
„Sie brennen ein bisschen. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Tränenflüssigkeit.“ Ich blickte zum Himmel, dessen Morgenschleier sich nun hob. „Seit kurzem bin ich etwas lichtempfindlich.“ Ich legte mir ein buntes Tuch um den Kopf, um meine Augen zu schützen. „Ist nicht so schlimm“, sagte ich. „Das geht wieder weg. Liegt vielleicht auch an der trockeneren Luft hier auf der Hochebene.“
Amara war von meiner Antwort nicht recht beruhigt. „Wir werden das beobachten.“
Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken an meine Gesundheit, denn auf mich stürmten so viele andere Eindrücke ein. Magdalena wollte mir vor Schulbeginn noch kurz den neuen Raum zeigen. Auf gestampftem Lehmboden standen drei Bänke, die von der handwerklich geschickten Ada wohl selbst geschreinert worden waren. In jeweils einer hatten drei Kinder Platz. Gedanklich ging ich die Namen unserer vier Mädchen durch: die Schwestern Zuna und Baina sowie Jumokes Tochter Dayo und Yetundes Tochter Ijaba.
„Mit den vier Mädchen, die Rose schickt, ist unsere kleine Schule ausgelastet.“ Magdalena war sehr zufrieden über diese Entwicklung.
Ich konnte ihren Optimismus überhaupt nicht nachvollziehen. Roses Name weckte bei mir keine guten Erinnerungen. Sie war eine Verwandte von Mama Funke und deren Mitfrau Ngozi. Nachdem Ngozi von den Muslimen im September getötet worden war, hatte Rose uns für den Tod ihrer Mutter verantwortlich gemacht. Es war zu einer hässlichen Szene gekommen: Rose hatte mich eine Hexe genannt und uns verflucht. Daraufhin hatte Bisi sie aus dem Haus geworfen. Magdalena hatte das alles miterlebt. Umso verwunderter war ich, dass sie Roses Kinder nun unterrichtete.
„Hast du dich denn mit Rose vertragen?“, fragte ich. „Ist der ganze Streit vergessen?“
Magdalena seufzte. „Leicht war das nicht, Choga. Aber ich sah keine andere Möglichkeit. Irgendwie mussten wir schließlich unsere Ernte verkaufen. Das ging nun mal nur über die Kooperative, in der Rose ein entscheidendes Wort mitzureden hat. Ich habe dann eben in den sauren Apfel gebissen und Mama Funke einen Vorschlag gemacht: Wir unterrichten Roses Kinder, wovon übrigens zwei ihre eigenen Töchter sind und die anderen Nichten, und dafür arbeiten die Händlerinnen wieder mit uns zusammen. Es war ein Friedensangebot. Und es hat geklappt.“ Sie hob die Schultern. „Was soll's? Die Kinder können nichts dafür. Sie müssen lernen und sind auch ungeheuer dankbar für diese Möglichkeit. Es macht Spaß, sie zu unterrichten.“
„Und Rose hat alles vergessen? Ihren Fluch, ihren Zorn? Das ist ja unfassbar! Aber es freut mich, dass dir das gelungen ist.“ Ein bisschen unangenehm erschien
mir diese Konstruktion allerdings schon, durch die unsere wirtschaftliche Situation von Roses Wohlwollen abhing. Doch ich schob meine Bedenken beiseite. Die streitbare Rose
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