03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
vor, als benutze sie ihre langen Zöpfe wie einen Vorhang, hinter dem sie sich versteckte. Ihre Meinung behielt sie meistens für sich und ließ Charity für sich sprechen, die das vorlauteste Mundwerk hatte. Lape war sehr beliebt unter meinen
Schwestern, da sie eine seltene Tugend pflegte: Wer Lape ein Geheimnis anvertraute, konnte sicher sein, dass es nicht wenig später die Runde gemacht hatte.
„Wann wart ihr zuletzt bei Lape?“, fragte ich Bisi, während Amara bereits den Wagen durch Jeba lenkte.
Meine Lieblingsmama rechnete kurz nach. „Vor fünf Tagen. Magdalena hat kein schlechtes Krankenhaus ausgesucht, Choga. Es ist ziemlich modern und sie haben dort viele Aidspatienten.“
„Zu viele“, muffelte Amara. „Die haben doch gar keine Zeit für jeden Einzelnen.“ Meine Mentorin blickte mich an. „Wir sind unter uns, erlaubt, dass ich mal offen spreche. Was Magdalena gemacht hat, ist Unsinn. Lape befindet sich im Endstadium. Auch die Medizin des Westens vollbringt keine Wunder. Die Ärzte geben ihr in erster Linie starke Schmerzmittel.
Das kann ich auch. Doch es widerspricht meinen Ansichten, einen Patienten in einen todesähnlichen Dauerschlaf zu versetzen. Der große Schlaf kommt früh genug; Todgeweihte sollen halbwegs wach hinübergehen.“
Amara hatte wohl fast vergessen, dass sie ein Auto lenkte. Im letzten Augenblick riss sie das Steuer herum, als uns ein entgegenkommender Wagen anhupte. Ich erschrak furchtbar. „Pass auf, dass wir nicht gleich hinübergehen!“, rief Bisi.
„Ach, ich kann mich so aufregen! Diese Ärzte haben überhaupt kein Fingerspitzengefühl. Wie sollen sie auch? Bei den vielen Todkranken!“ Sie umklammerte das Lenkrad und stierte zornig auf die Straße. Ich verstand ihre Gefühle so gut! Ich dachte an Efe und ihren kleinen Sohn Jo zurück.
Die Dankbarkeit dieser beiden Menschen, dass ich ihnen bis zum letzten Atemzug beigestanden hatte, war in meinem Herzen lebendig. Mit dieser Erinnerung im Hinterkopf näherte ich mich jenem Ort, an dem Lape auf uns wartete.
Amara parkte den Wagen vor einem mir riesig erscheinenden Gebäudekomplex aus alten und neuen Häusern, der sich über ein weites Gelände erstreckte. Die
Universitätsklinik von Jos hatte einen hervorragenden Ruf als Zentrum der Aidsbekämpfung. Ich stieg schon mit weichen Knien aus. Solche Krankenhaus-Maschinen, wie ich sie nannte, erschreckten mich durch ihre schiere Größe. Meine Welt waren schließlich die kleinen Heilstationen von Buchi und mir. Häuschen, in denen Patienten eher Schützlinge waren, denen die Heilerin eine Art Mama war, der sie sich anvertrauten. Und Lape hatte sich nicht einmal entscheiden können, ob sie aus Ama-ras Obhut entlassen werden wollte.
Bisi eilte zielstrebig auf ein älteres Gebäude zu. „Sie liegt dahinten in dem Zimmer“, sagte sie. Wir öffneten die Tür zu einem Raum mit sechs Betten.
Meine Vorbehalte schwanden ein wenig, denn alles wirkte sehr gepflegt.
Bisi und Amara blickten in die Betten und tauschten verwunderte Blicke.
„Nanu, wo ist sie denn? Haben wir das falsche Zimmer erwischt?“, fragte Bisi verunsichert. Doch auch im nächsten entdeckten wir meine Schwester
nicht. Wir fragten Personal, das keine Zeit hatte, und wurden in einen anderen Trakt geschickt. Dort irrten wir durch verstopfte, kaum beleuchtete Gänge, blickten in überfüllte, muffig riechende Krankenzimmer. Endlich fanden wir Lape auf einer Liege in einem engen Gang. Wir wären fast an ihr vorbeigelaufen.
Meine Schwester dämmerte apathisch vor sich hin. Ich erkannte sie erst auf den zweiten Blick. Das schöne lange Haar hatte man ihr abrasiert, dunkle Stellen verunstalteten ihren Kopf, die Augen lagen eingefallen in den Höhlen, die Haut war grau, die Knochen traten spitz hervor. Wo ich Apparate erwartet hatte, die ihr Leiden erleichtern könnten, gab es nichts.
Nur ein graues Tuch, das sie kaum noch bedeckte.
„Wie ist das möglich?“, sagte Bisi entsetzt. „Wieso ist sie hier? Kümmert sich denn niemand um sie?“
Amara und mir fehlten die Worte. Wir blickten uns nach Personal um, das uns diese Gemeinheit erklären konnte. Wohin ich auch sah, entdeckte ich nur Menschen, die in einem ähnlich erschreckenden Zustand waren wie Lape. Der Gang war mit unzähligen anderen Feldbetten voll gestellt. Nicht anders als im Regenwald brachten auch hier Angehörige ihren ausgezehrten Verwandten Essen und unterhielten sich lautstark. Allerdings hatte Buchi mit ihren Heilerinnen für eine
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