03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
das Wachs aus und richtete den Docht wieder auf. Hätte ich ein Streichholz gehabt, so hätte ich sie wieder angezündet. Ich betrachtete die rote Kerze, die sich in meiner Hand warm und weich anfühlte. Die Stelle, an der das Wachs ausgelaufen war, glich einer breiten, dick verkrusteten Narbe.
„Wie diese Kerze bin ich dem beständig wehenden Wind ausgeliefert, dem ich nichts entgegenzusetzen habe“, wandte ich mich nun wieder an Magdalena. „Darum will ich mich in den Regenwald zurückziehen. Gewiss wird mich auch dort immer wieder ein Wind erwischen. Aber vielleicht flackert mein Licht etwas länger. Das ist die Hoffnung, die mich aufrecht hält.“
Meine Schwester sah mich mit einem Ausdruck ungläubiger Fassungslosigkeit an. „Das ist deine Hoffnung? Du Arme! Das habe ich nicht gewusst. Du beobachtest deinen eigenen langsamen Verfall. Als ob dein Leben ein Stundenglas wäre. Du bist doch viel zu jung, um ans Sterben zu denken.“ Sie nahm ihre Brille ab und rieb sich die Augen.
„Ich denke nicht ans Sterben, sondern ans Leben. Sieh doch die Kerze an“, meinte ich. „Sie weiß nicht, dass sie verlöscht. Sie brennt bis zuletzt.“
Magdalena richtete sich auf, als ob sie sich nicht unterkriegen lassen wollte, und meinte: „Warum der Regenwald? Hier sind doch die Menschen, die dich lieben!“
Es fiel mir so schwer, zu sagen, dass es weniger jene waren, die mich liebten, als jene, für die ich die Farm aufgebaut hatte, denen ich nicht zur Last fallen wollte. So weit wollte ich es nicht kommen lassen. Nachdem ich Magdalena meine Gefühle offenbart hatte, sagte sie: „Du hast doch den Tee! Hilft der denn gar nicht mehr?“
„Doch, er hat mir einige Jahre geschenkt. Aber ich hätte damit nicht aufhören dürfen, als das Heilhaus zerstört wurde.“ Ich blickte auf die erloschene Kerze in meinen Händen und das ausgelaufene Wachs. „Das war eben einfach mein Schicksal, das mich damals ereilt hat. Bis zu diesem Tag war ich wirklich überzeugt gewesen, dass ich den Tod überlisten kann.
Aber das geht nicht. Und das habe ich eingesehen.“ Ich stellte die Kerze ans Grab und sagte: „Was mir noch an Zeit bleibt, will ich mit Josh genießen.
Ohne Verantwortung für Kranke, denen ich ohnehin nicht helfen kann.“
Ich sah meine Schwester an. Sie wirkte traurig. „Du bist Joshs und meinetwegen nach Afrika gekommen. Du hast alles aufgegeben. Das muss für dich eine schreckliche Nachricht sein. Ich kann nur hoffen, dass du verstehst, warum ich mich so entschieden habe.“
Sie atmete tief durch, stand auf und fuhr sich mit beiden Händen durch das ergraute Haar. Dann ließ sie den Blick über die aus Trümmern wieder erstandene Farm schweifen. In vielem von dem, was sie sah, steckte nicht nur ihr Erspartes. Sondern auch ihre Sehnsucht nach einem Leben mit mir und Josh in Afrika.
„Ich liebe diese Farm“, meinte Magdalena. „Mit deinem Land habe ich durchaus Probleme, das kann ich nicht verheimlichen. Lapes Geschichte beweist es. Aber wenn du mich fragen würdest, ob ich dennoch bleiben würde, muss ich dir jetzt sagen: Ich verlasse diese Farm keinen Tag vor dir.
Darauf gebe ich dir mein Wort.“
Ich dachte wieder an jenen Satz unserer Mutter, dass ich stolz auf meine Schwester sein könne. Doch ich empfand mehr als Stolz oder Glück: eine tiefe Liebe, die uns verband. Mochte das Leben uns auch spät zusammengeführt haben - es war der richtige Augenblick gewesen. Wie lange er dauern würde, konnte ich nicht sagen. Es spielte auch nur eine geringe Rolle. Es zählte allein die Tatsache, dass wir uns überhaupt gefunden hatten. Mein Weg war beschwerlich, aber Gott hatte mir Menschen an die Seite gestellt, die mich liebten. Das Gefühl der Dankbarkeit dafür war größer als die Angst vor meiner Zukunft.
Magdalena setzte sich neben mich. „In meiner Jugend gab es einen englischen Schlager. Darin hieß eine Zeile: Treiheit ist ein anderes Wort für: Du hast nichts mehr zu verlieren.“„ Sie hob die vertrockneten Blüten der Wunderblume auf und ließ sie durch die Finger wieder zu Boden gleiten. „Weißt du, daran habe ich oft gedacht, bevor ich mich auf den Weg zu dir gemacht habe. Ich ging auf Mitte 40 zu, meine Tochter lebte weit entfernt in den USA, ich war geschieden und ich hatte eine Arbeit, die mir nicht mehr richtig Spaß machte. An eine neue Liebe glaubte ich nicht, weil ich keine neue wollte. Ich war
also frei. Dann kam ich hierher und plötzlich war alles anders. Ich hatte euch und das war
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