03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
sehen.
Anscheinend tut das zumindest auch Charity. Als ich vor fünf Monaten Tanisha bitten wollte, meine Nachfolgerin zu werden, da habe ich gezögert.
Denn mir wurde bewusst, dass ich viel zu jung bin, um solch ein großes Wort in den Mund zu nehmen. Ich wollte sie nicht erschrecken. Aber wir Sind alle nicht in dem Alter, uns damit abzufinden, dass wir nicht mehr viel Zeit haben. Eigentlich ist das grausam.“
Mama Bisi, unsere Älteste, drückte mich sanft an sich. „Ich wusste nicht, dass du so denkst, meine Kleine.“
„Erst Charitys Angst hat mir das klar gemacht. Ich habe als Heilerin schon viele Patienten in den Tod begleitet, so dass für mich der Tod zum Leben gehört. Andere Menschen jedoch sehen im Tod einen Gegner, der ihnen keine Chance lässt.“
„Charity war auch hier auf der Farm, als erst mein Enkel Jo starb und dann meine Tochter Efe“, sagte Bisi. „Da wollte sie nicht gehen, Choga.
Warum jetzt?“
„Bei Jo und Efe war das anders. Die beiden gehörten nicht zu uns sieben jungen Frauen, die aus Lagos kamen, um auf der Farm ein neues Leben zu beginnen“, vermutete ich.
„Niemand kann ein neues Leben beginnen, Choga“, widersprach die praktisch denkende Mama Ada. „Es bleibt immer das alte.“
„Das weißt du“, meinte Mama Bisi, „aber Choga spricht von den jungen Frauen. Obwohl - wenn ich sie so reden höre, dann ist unsere Kleine keine von den jungen Frauen mehr. Eher eine von uns, meine liebe Ada.“
An mich gewandt, erwiderte meine Patin: „Ich weiß nicht, wer sich so wie du wegen Rose im Heilhaus eingesperrt hätte.“
„Schließlich bin ich hier, um mich von Lape zu verabschieden“, sagte ich, ohne weiter nachzudenken, ob das missverständlich sein könnte.
Doch als Ada entgegnete: „Das hier ist immerhin dein Zuhause, Choga!“, wurde mir bewusst, dass jetzt der Moment gekommen war, um meinen Lieblingsmamas zu gestehen, das auch ich gehen wollte. Doch es fiel mir unendlich schwer, und ich suchte nach Worten, die sie nicht verletzten.
So umschrieb ich meine Empfindungen wohl etwas zu ungenau. „Ich fühle mich unserer Gemeinschaft nicht mehr gewachsen. Ich sehne mich nach einem Platz, wo ich nur noch Ruhe habe und keine Verantwortung zu tragen brauche.“ Eziras Namen traute ich mich nicht in den Mund zu nehmen.
„Demnächst sind hier ja vier Menschen weniger, um die du dich sorgen musst“, erwiderte Ada in ihrer manchmal recht burschikosen Art.
Auch Bisi erahnte nicht, was in mir vorging. Sie wie auch Ada beschäftigten die Sorgen des Alltags. „Wenn Charity und Chinne gehen, fehlen zwei Frauen, die das Farmland bearbeiten“, gab sie zu bedenken. Immerhin handelte es sich um 20 Hektar. „Das können die übrigen drei kaum noch schaffen. Wir überlegen, wie wir die Farm künftig bewirtschaften. Ada meint, wir sollten einfach nur weniger Fläche bearbeiten, weil wir ja weniger verbrauchen. Was meinst du, Choga?“
So verstrich mit dieser Frage die Gelegenheit für mich, über meine Abreise zu sprechen. Ich sah ein, dass der Zeitpunkt ohnehin nicht gerade glücklich war. Was sollte den anderen nun noch Auftrieb geben, wenn ich dasselbe wie Charity und Chinne tat?
„Eine andere Möglichkeit, als uns zu verkleinern, werden wir wohl kaum haben“, pflichtete ich bei.
Wir sprachen noch über Zuna und Baina, um die ich mich sorgte. Doch meine Lieblingsmamas meinten, dass Charity alt genug sei, um zu wissen, was sie tue. Ich dachte an Josh, der künftig ohne seine beiden Freundinnen auskommen musste. Als er kurze Zeit später zu uns kam, beschloss ich, es ihm lieber gleich zu sagen. Mein kleiner Sohn ließ den Kopf hängen, als er die traurige Nachricht hörte.
„Es ist doch so schön hier! Wollen sie denn gar nicht mehr bei uns bleiben?“, fragte mein Kind.
Mama Bisi nahm mir die Antwort ab, und als ich hörte, was sie sagte, merkte ich mir jedes Wort. Denn ich würde sie vielleicht schon wenige Tage später brauchen. „Charity hat Sehnsucht nach ihrer Tante. Sie möchte lieber dort leben. Wenn ihr Herz sie dorthin zieht, müssen wir sie gehen lassen, Josh.“
Mein Sohn, gerade erst von einer weiten Reise heimgekehrt, fragte, ob er seine Spielgefährtinnen dort besuchen dürfe. Da wir keine rechte Antwort wussten, wollten wir ihm zumindest nicht die Hoffnung nehmen.
Am nächsten Morgen frühstückten wir noch einmal alle gemeinsam mit Charity, Chinne und den Kindern am langen Tisch auf der Veranda. Über der Versammlung hing eine eigenartig
Weitere Kostenlose Bücher