03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
heißt, dein Glaube und deine Heilfähigkeit gehören untrennbar zusammen“, resümierte meine deutsche Schwester. „Ich verlange somit etwas Unmögliches, wenn ich sage, dass du über deinen Schatten springen sollst. Du müsstest dazu eigentlich deine Überzeugung verraten.“
„Es geht nicht um eine Überzeugung, Magdalena. Mutter Erde ist meine Göttin, die ich verehre, weil sie meine oberste Schutzpatronin ist.“
„Kannst du ihr denn nicht irgendwie verständlich machen, dass es im Sinne unzähliger kranker Menschen wäre, wenn du dein Wissen an Dr. Rashid weitergibst?“, fragte sie. In ihrem Blick lag ein Flehen. Nur zu gern hätte ich ihrem Wunsch entsprochen.
„Natürlich ginge das“, sagte ich, „aber nur wenn Rashid sich seinerseits verpflichtet, nach Amaras und meinen Prinzipien zu handeln. Er dürfte also auch kein Geld verlangen, wenn er Patienten mit unserem Tee behandelt. Meinst du, er lässt sich darauf ein?“, fragte ich. Ich bezweifelte es stark. Immerhin arbeitete er in einer teuren Klinik, die davon lebte, dass Menschen für die Behandlungen Geld bezahlten.
Magdalena erhob sich. „Wenn alle so selbstlos denken würden, sähe unsere Welt wohl anders aus, Schwesterchen.“ Ihr tiefes Seufzen drückte die Vergeblichkeit
dieser Hoffnung aus. „Wie du können nur Menschen handeln, die einen tiefen Glauben haben. Verstehen werden dich nicht viele, wenn du so sprichst. Ich tue es, weil du meine Schwester bist und ich dich liebe.“
„Ich bin nicht selbstlos“, widersprach ich, „Heilige sind das. Ich bin nur dankbar für das, was die Natur mir schenkt. Mache ich Geld daraus, gibt es Streit. Weil die Leute sich nun mal grundsätzlich wegen Geld in die Haare geraten.“
„Oder wegen ihres Glaubens“, stöhnte Magdalena. „Damit wären wir wieder bei Rose und ihrem Hexen-Quatsch!“
Ich rang mich zu einem Vorschlag durch: „Ich mache mich unsichtbar, solange die Dorfmädchen bei uns sind. Dann sehen wir mal weiter, ob Rose das reicht. Das fällt mir nicht so schwer. Ich werde ohnehin viel bei Lape sein.“
Meine Schwester küsste mich auf die Stirn. „Du bist - ach, ich weiß nicht..
Ich habe dich einfach lieb und bin unglaublich froh, dich kennen gelernt zu haben. Ich lasse dich jetzt schlafen.“ Sie ging zur Tür, blieb stehen und drehte sich noch einmal um. „Ich habe immer darüber nachgedacht, warum du so anders bist. Ich glaube, ich kenne jetzt die Antwort: Für dich zählt das Wohl anderer mehr als dein eigenes.“ Sie griff nach dem Türknauf und sagte mehr zu sich selbst: „Aber warum musst dann ausgerechnet du so krank werden? Wo liegt da der Sinn? Ich verstehe diese Welt nicht.“ Ein letztes Mal wandte sie sich mir zu. „Gute Nacht, Schwesterchen.“
In den nächsten Tagen, die auf dieses Gespräch folgten, ging ich stets morgens nach dem Frühstück ins Heilhaus und hielt mich dort bis zum Einbruch der Dunkelheit auf. Lape schlief viel. Ich wendete sie zwischendurch gemeinsam mit Amara oder richtete sie etwas auf, damit sie keine Lungenentzündung entwickelte. Trotz all unserer Mühe wussten wir, dass wir Lape nicht heilen, sondern nur ihr Leiden erträglicher machen konnten. Damit sie spürte, dass diese Welt ihr auch Liebe gegeben hatte, wenn sie gehen musste. Nicht nur Gleichgültigkeit.
Während ich zu Lapes Krankenschwester wurde, war ich gleichzeitig Amaras Patientin. Unsere Heilerin probierte verschiedene Augenspülungen und Tropfen aus und legte mir sogar stundenweise Umschläge aus geriebener Rinde und Blätterextrakt auf. Allerdings wurde meine Entzündung kaum besser. Ich zwang mich zur Geduld. Und fühlte mich dennoch niedergeschlagen. Mein Rückzug ins Heilhaus kam mir ein wenig vor wie eine Gefangenschaft, obwohl ich mich selbst dazu entschieden hatte.
Wenn Lape nicht gewesen wäre, die ich nicht im Stich lassen wollte, wäre ich wohl bereits zu Ezira aufgebrochen. Doch so zwang ich mich, auszuhalten, und hoffte, dass meine Augen sich in der Zwischenzeit erholten.
Um mich abzulenken, lauschte ich den Stimmen der Kinder, die durch die dünne Wand zwischen Heilhaus und Schule gut zu hören waren.
Magdalenas Unterricht machte den Kleinen offenbar Spaß. Am meisten freute ich mich, wenn Joshs Stimme erklang. Er beteiligte sich rege am Unterricht, und ich grübelte, wie ich ihn bei Ezira zur Schule schicken konnte. Wenn er nicht morgens und abends jeweils eine Stunde bis ins Dorf gehen wollte, müsste er wohl bei Buchi unterkommen. Magdalena wollte
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