03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
Mutter machte ich deshalb keine Vorwürfe. Sondern mir selbst; ich war zu schwach.
„Seitdem habe ich immer versucht, meine Schwäche nicht zu zeigen“, schloss ich und sah Lape an. „Genau genommen war ich für das Landleben nie geeignet. Aber Mama Lisa hatte mir die Farm nun mal vermacht. Und ihr alle brauchtet ein neues Zuhause.“ Ich hatte immer nur auf das reagiert, was das Schicksal mir als Aufgabe gestellt hatte. Auf die Idee, wegzulaufen, war ich nie verfallen. Weil man nie entkommen kann
..
Lape öffnete ihre glasigen Augen weit und sagte mit schwacher Stimme:
„Du wolltest die Handkarre ziehen, mit uns allen darauf.“
„Ja, wahrscheinlich“, erwiderte ich.
„Choga“, flüsterte meine Schwester dicht an meinem Ohr, „lass die anderen die Karre ziehen. Sonst liegst du bald hier, wo ich jetzt bin.“ Im Zwischenreich zwischen Leben und Tod erkannte sie plötzlich alles ganz klar.
An diesem Abend kam Josh zum ersten Mal leise zu mir ins Bett, als alle schon schliefen. Mein kleiner Sohn konnte überhaupt nicht verstehen, warum seine beiden Freundinnen Zuna und Baina ihn so überraschend verlassen hatten. Plötzlich hatte er ein Zimmer ganz für sich allein.
„Mama, darf ich bei dir schlafen?“
Ich rückte ein Stück zur Seite und er kuschelte sich an mich. Ich musste mir für ihn eine schöne Gutenachtgeschichte ausdenken, die ihn mit der Wirklichkeit aussöhnte.
Es folgten weitere Wochen, die ich nicht zählte. Vielleicht waren es zwei, möglicherweise drei. Amara hatte mir in der Zwischenzeit mitgeteilt, dass ihre Nachfolgerin auch weiterhin ohne sie zurechtkam. Meine Mentorin und ich mühten uns in dieser Zeit, Lapes Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber wir sahen genau genommen zu, wie sie immer weniger wurde. Und wir spürten es, wenn wir sie hochnahmen. Wenn meine
Schwester stöhnte, sah ich nach ihr. Ich fragte mich nicht, ob es sinnvoll war, was ich tat. Denn heilen konnte ich nicht, nur helfen.
Jeden Morgen blickte ich prüfend in den Spiegel und stellte fest, dass sich meine Augen kaum besserten. Die Entzündung war nun nicht mehr eitrig, aber ich musste mir eingestehen, dass sich mein Gesichtsfeld ganz allmählich veränderte. Alles, was außerhalb des Spiegels lag, wurde immer unschärfer. Ich sprach darüber mit Amara und sie veränderte die Zusammensetzung der Kräuter. Ich übte mich weiterhin in Geduld und hoffte auf Besserung.
Dann gab ich Lape eines Morgens wieder den Schmerz stillenden Tee. Er wurde aus den Knospen des Blutbaums gewonnen, der direkt neben dem Brunnen in unserem Hof wuchs. Lape, die sonst fast immer apathisch war, wirkte sehr unruhig. Sie hielt es nicht im Bett aus, war aber zu schwach, um aufzustehen.
„Weißt du, was einer im Krankenhaus gesagt hat?“ Lape sprach so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. Ich kam ihr ganz nah. „Aids ist gar nicht so schlimm. Aids geht vorbei. Das Blöde ist nur, dass man dann mitgehen muss ..“ Lape sah mich ernst an. Ihr Mund war dicht an meinem Ohr. „Ich will nicht mehr. Mir reicht's.“ Sie kicherte wie ein Kind. „Ich geh ja doch mit!“
Das Sprechen kostete Lape viel Kraft. Schweiß stand auf ihrer Stirn, den ich abtupfte. „Irgendwann gehen wir alle“, sagte ich, „aber ich finde es wichtig, wie man geht. Denk an die vielen Menschen im Krankenhaus. Wie sie lagst du dort in einem trostlosen Gang. Hier bist du umgeben von Menschen, die sich um dich kümmern.“
„Ich weiß“, erwiderte Lape mit kraftloser Stimme. „Aber ich habe solche Schmerzen. Jetzt, wo du mir den Tee gegeben hast, ist es besser. Aber sie werden wiederkommen. Nachts liege ich hier und weine.“ Ihr Blick flehte um Hilfe, die ich nicht leisten konnte. „Warum muss ich so leiden?“
„Überleg doch mal“, meinte ich, „welche Qualen ein kleiner Mensch auf sich nimmt, wenn er auf diese Welt will. Die ganze Zeit zuvor war da dieses rötliche Licht um ihn herum. Er wollte immer wissen: Woher kommt das?
Das muss ich herausfinden. Also strengt er sich an und schiebt sich dem Licht entgegen. Es ist die Hoffnung, die ihn vorantreibt, trotz all der Schmerzen, die dabei entstehen. Wenn er diese unglaubliche Anstrengung nicht aushalten würde, könnte der kleine Mensch das Licht niemals erreichen.“
„Ohne Schmerzen kein Leben. Stimmt doch, oder?“ Sie stöhnte. „Warum hat der liebe Gott sich das für uns Menschen ausgedacht?“
„Wenn du keine Schmerzen hättest, könntest du doch auch nicht wissen, wie es
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