03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
lassen.“ Während unseres Gesprächs humpelte ich auf meinen Stock gestützt zum Brunnen, pumpte etwas Wasser in den daneben stehenden Krug und verteilte es sorgsam über die in der Sonnenglut dürstenden Wurzeln des Blutbaumes. Meine Schwester beobachtete mich. „Warum tust du das jetzt?“
„Weil ich mir wünschte, ich könnte so anspruchslos sein wie dieser hübsche kleine Baum“, meinte ich. „Das Leben wäre so einfach und dennoch so vollkommen.“
Ein rätselhaftes Orakel
Von einem Teil des vielen Geldes, das Magdalena von Dr. Rashid zurückerhalten hatte, kaufte sie in der folgenden Woche in Jeba mehrere Säcke Putz. Ich war überrascht, als meine Gefährtinnen eines Mittags Amaras Pick-up entluden. Denn zumindest mit mir hatte sie über ihr Vorhaben nicht gesprochen. „Ich wollte ein Zeichen setzen, Schwesterchen“, verkündete Magdalena bester Laune und hob mit Jumoke einen Sack vom Wagen. „Die Kapelle, die Schule und das Heilhaus sehen so unfertig aus.“ Die neu erbauten Gebäude bestanden bislang nur aus nackten grauen Steinen. „Ich dachte mir, wenn jetzt alle mit anpacken, bekommen sie das Gefühl einer gemeinsamen Zukunft zurück. Nichts ist schlimmer als der Zweifel an dem, was man hat, und daran, wie man lebt.“
„Haben wir denn diese Zukunft?“, fragte ich. Erst am Morgen hatte ich zufällig mit angehört, wie Amara lange mit ihrer Nachfolgerin in Lagos gesprochen hatte. Normalerweise scherzten die beiden miteinander. Dieses Gespräch war jedoch sehr ernst gewesen. Danach hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mit Amara zu reden; sie hatte sich auf eine weite Wanderung in die Hochebene begeben, wo sie seltene Wurzeln sammeln wollte. Doch in mir lauerte das ungute Gefühl, dass sie sich mir nach ihrem Telefonat entziehen wollte.
Meine Schwester stemmte die Arme in die Hüften. „Natürlich haben wir hier eine Zukunft. Aber damit es so ist, müssen wir auch daran glauben.“
Gemeinsam mit Abidem wuchtete sie einen weiteren Sack von der Ladefläche. Die Schule fiel an diesem Tag aus und unsere drei Kinder schleppten Eimer, Maurerkellen und anderes Handwerkszeug herbei, dessen Zweck mir nicht bekannt war. Vor allem Josh zeigte große Begeisterung.
„Ich brauche jemanden, der mir hilft, die große Leiter zu tragen!“, rief Ada.
„Ich mach das!“, schrie Josh und rannte los. Wenig später trugen die große, kräftige Ada und der schmächtige Josh das hölzerne Ding quer über den Hof und Ada lehnte es gegen die Kapellenwand. Mir war sofort klar, warum Josh sich so für die Leiter interessierte: Flink wie ein Wiesel kletterte er die Sprossen hoch und winkte. „Mama, ich bin hier oben!“, rief er. Ich glaubte, mein Herz würde stehen bleiben. Doch Ada bat ihn ruhig, nun wieder herunterzukommen, damit sie mit der Arbeit in luftiger Höhe beginnen konnte.
„Ach, Choga, ich habe ganz vergessen, dir etwas zu geben. Ich war nämlich noch beim Postfach“, sagte Magdalena und drückte mir einen Brief in die Hand. Es stand kein Absender darauf. Ich riss den Umschlag auf und versuchte zu lesen. Es war fast unmöglich. Nur wenn ich das Papier ganz nah vors Gesicht hielt, konnte ich etwas erkennen. Doch immerhin wusste ich: Diesen Brief musste ich in Ruhe lesen! Bis zu meinem Lieblingsplatz unter den Büschen der Bougainvillea waren es vielleicht zwanzig Schritte, die ich mit klopfendem Herzen zurücklegte. Ich setzte mich in den Schatten.
Die Schrift auf dem hellblauen Papier war klein und zart; Wort für Wort musste ich mich vorwärts kämpfen. Während ich las, glaubte ich die Schreiberin ganz nah bei mir zu fühlen - Ezira.
„Liebe Choga“, las ich, „wie lange du nun schon fort bist, weiß ich nicht.
Aber es werden viele Wochen, gar Monate sein. Hier bei uns sind alle gesund. Tanisha vermisst dich sehr und spricht viel von dir. Sie lässt dir und Josh ausrichten, dass es auch Faraa gut geht. Ihre Aus bildung macht so schnelle Fortschritte, dass ich fast glaube, sie will dich einholen! Auch mir fehlst du. Doc es geht nicht um mich, deine Lehrerin.
Schon in der Nacht bevor ihr uns verlassen habt, hab ich das Orakel befragt. Ich wollte dir seine Antwort nicht am Morgen eurer Abreise mitteilen. Denn du solltest voller Freude auf dein Zuhause zurückkehren können. Nun, da du noch nicht wieder zu uns zurückge kommen bist, weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich hätte es dir sagen sollen. Das Orakel sah Menschen, die dich an einem Ort festhalten, und ich nehme an, es
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