03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
Obwohl Bisi mir genauso nah war, konnte ich ihr Gesicht kaum noch ausmachen.
„Für Josh wird es hart werden, wenn die beiden Mädchen fort sind“, sagte ich und dachte wehmütig daran, wie schön es gewesen wäre, wenn er Faraa gehabt hätte. Aber auch das war nun nicht mehr möglich. Mit meinem eigenen Schicksal konnte ich umgehen, doch Joshs Los war viel schwieriger.
Ich musste mir etwas einfallen lassen, damit er eine Aufgabe hatte.
„Es ist wirklich zu ärgerlich, dass nicht mal mehr die Schulkinder kommen“, erwiderte Bisi nachdenklich. „Magdalena wird ihn allein unterrichten müssen. Hoffen wir, dass Dayo und Ijaba bald wieder hier sind.“
Ich hatte meinen Teebecher irgendwo auf dem Tisch abgestellt und griff ins Leere. Während ich noch dachte, dass ich mir in Zukunft angewöhnen müsse, solche Handgriffe bewusster auszuführen, fühlte ich, wie Bisi behutsam meine Hand an den Becher führte. „Warum verschweigst du mir, dass du nichts siehst?“, fragte sie ohne einen Vorwurf in der Stimme.
„Ich wollte dich nicht ängstigen, Mama. Außerdem kommt es so plötzlich.
Was gestern da war, ist heute nicht mehr zu sehen. Ich muss erst mal lernen, damit umzugehen.“
„Das müssen wir, die wir dich lieben, aber auch, meine Kleine. Wenn es dir schlechter geht, sollten wir das wissen, damit wir dir helfen können.“
Meine Lieblingsmama bedauerte mich nicht, was es uns beiden viel schwerer gemacht hätte. Stattdessen nahm sie die große Herausforderung, vor der wir standen, einfach an. Wieder einmal bewies sie, dass sie meine Wunderblume war. Hoffnungen, die gestorben waren, warf sie wie welke Blüten fort, um mit neuer Kraft andere Knospen zu entwickeln.
Josh kam bereits am Morgen nach der endgültigen Besprechung auf der Veranda in mein Zimmer. „Mama, warum können wir denn nicht mitfahren mit den anderen?“, fragte er aufgebracht.
„Weil dies unser Zuhause ist, mein Schatz. Hier sind deine Omas und Magdalena. Wir wollen sie nicht allein lassen. Außerdem bin ich sicher, dass die anderen nicht lange in Lagos bleiben.“ Ich erklärte ihm, was Abidem, Jumoke und Yetunde sowie Dayo und Ijaba dort machten.
„Neulich waren wir bei Ezira, und jetzt gönnen wir ihnen mal ein wenig Urlaub, damit sie etwas anderes sehen.“
„Fahren wir zu Faraa und Tanisha?“ Aus seiner Stimme hörte ich sein großes Sehnen heraus. Doch ich musste seinen Wunsch in weite Ferne schieben.
„Erst wenn die anderen wieder zurück sind. Wir haben viel zu tun, Josh.
Die Arbeit auf der Farm muss erledigt werden. Außerdem werden meine Augen immer schlechter. Ich werde dich hin und wieder bitten müssen, mir zu helfen.“
Joshs zartes Gesicht kam meinem ganz nah. Er blickte mir tief in die Augen. „Die sind aber gar nicht mehr so schlimm, Mama.“
Seit Monaten hatte Josh mich immer wieder schwach und kränkelnd erlebt; ich hatte mich stets erholt. So schien es auch jetzt zu sein: Meine Augen sahen wie früher aus, denn Amaras Medizin war gegen die äußeren Entzündungen erfolgreich. Die Schäden, die das Virus im Inneren angerichtet hatte, konnte Josh nicht erkennen. Doch es wäre unfair gewesen, ihm etwas vorzumachen. Das hatte mich mein Verhalten Tanisha gegenüber gelehrt. „Irgendwann werde ich nichts mehr sehen können, Josh.
Es gibt viele blinde Menschen. Aber wenn Sie jemanden haben, der ihnen hilft, haben sie es nicht so schwer.“
Seine Kinderhände strichen sanft über mein Gesicht. „Meine Mama, ich habe dich so lieb!“ Er bettete seinen Kopf an meine Schulter und schlang die Arme um mich.
Ich kostete diesen Moment der Nähe aus wie ein großes Geschenk. Meine Mutter hatte mich nie so an ihren Empfindungen teilhaben lassen. Darum hatte ich ihr Verhalten oftmals nicht verstanden. Josh und mich verband mehr als die unsichtbare Nabelschnur zwischen Mutter und Kind. Wir teilten dasselbe Schicksal. Die Dunkelheit, die mich erwartete, würde dieses Band noch fest knüpfen. Doch meine Angst wurde von Tag zu Tag größer, ihn in der Welt, die ich irgendwann nicht mehr sehen könnte, allein zurücklassen zu müssen.
Am Morgen ihrer Abreise bereitete Amara noch einmal den Tee zu. Ich leistete ihr Gesellschaft, um nun auch ihr zu sagen, dass ich mich endgültig entschlossen hatte, nicht mehr zu Ezira zu fahren. „Tust du es wegen Ada, Bisi, Funke und Magdalena oder traust du dir die Reise nicht mehr zu?
Wenn es wegen der anderen ist, dann entscheidest du dich falsch!“, sagte meine Mentorin. Ich
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