03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
neben mich und griff nach meiner Hand. „Du willst nicht mehr zu Ezira und Tanisha? Warum?“
„Erinnerst du dich noch an meinen Vergleich mit der Kerze?“, fragte ich. „Das ist noch gar nicht lange her. Doch seitdem sind meine Augen so viel schlechter geworden. Ich kann doch nicht als Blinde durch den Urwald irren.“
Magdalena griff nach meinem Kopf und drehte ihn sanft in ihre Richtung:
„Was heißt das, Choga?“ Sie klang sehr erregt.
„Wahrscheinlich werde ich blind.“
„O Gott!“, rief Magdalena entsetzt. Ich hatte etwas Zeit gehabt, mich mit meinem Schicksal abzufinden; für sie war es jedoch ein Schock. Meine Schwester tat mir so Leid. „Bitte, du musst dir von Dr. Rashid helfen lassen! Nimm sein Angebot mit der Therapie sofort an!“, flehte sie.
„Mutter hat früher mal zu mir gesagt, als ich eine Erkältung bekam: Wenn du Medizin nimmst, dauert es sieben Tage, sonst eine Woche. So ist das bei mir wohl auch, bloß ein bisschen komplizierter. Dr. Rashid hat mir gesagt, dass er mich nicht heilen kann. Er hat damit indirekt bestätigt, was ich immer gesagt habe: Ich muss mein Schicksal so akzeptieren, wie Gott es will.“
„Ich glaube auch an Gott“, meinte meine Schwester und hielt meine Hand nun wieder so fest, als hätte sie Angst, mich schon jetzt zu verlieren. „Aber ich fürchte, ich würde ganz schön sauer auf Gott sein, wenn er mir so übel mitspielen würde.“
„Er spielt mir nicht übel mit. Er liebt mich und ich liebe Gott. Also kann ich auch nicht mein Schicksal ab-lehnen, denn es ist sein Geschenk an mich.
Würde ich mein Schicksal hassen, bliebe mir nichts anderes übrig, als Gott auch zu hassen. Woher soll ich dann Trost bekommen? Ich würde alles zerstören, was mir am Ende meines Weges bleibt: mich selbst. Aber Gott hat mich nicht in dieses Leben geschickt, damit ich mich zerstöre. Im Gegenteil: Von der Minute an, in der ich gezeugt wurde, ließ er mich wachsen. Irgendwann hört der Körper auf zu wachsen.
Dann soll nur der Geist weiterwachsen. So verstehe ich mein Schicksal.“
„Ist es denn wirklich alles Schicksal, was geschieht?“, gab Magdalena zu bedenken. „Erst verschiebst du deine Rückkehr in den Regenwald wegen der Ereignisse mit Rose. Und jetzt wieder, weil Amaras Nachfolgerin in ihr Dorf zurückkehren muss. Dabei hast du es dir doch so sehr gewünscht. Ich habe eher den Eindruck, dass du von solchen Ereignissen fremdbestimmt bist. Du triffst gar keine eigenen Entscheidungen.“
„Doch, ich treffe sehr wohl Entscheidungen. Aber wesentlich kleinere als du, wenn du in Deutschland alles aufgibst, um bei uns zu leben. Meine Entscheidungen fügen sich dem Lauf meines Schicksals, denn ich akzeptiere es.“ Ich zögerte, ob ich ihr von Eziras Orakel erzählen sollte, und tat es dann doch. Denn ich fühlte mich keineswegs fremdbestimmt.
Selbst in jenen schweren Tagen, als ich den Streit mit Tanisha hatte und an meinem Weg zweifelte, hatte sich hinterher alles als richtig erwiesen. Ich war der Weisung zu Recht gefolgt. So sagte ich nun zu meiner deutschen Schwester: „Ezira hat mir heute geschrieben: „Durch die Dunkelheit findest du zum Licht.“„
Magdalenas Stimme rang mit den aufsteigenden Tränen. „Das hört sich ja schrecklich an.“
„Im ersten Augenblick schon, weil sich jeder irgendwie vor Dunkelheit fürchtet. Eigentlich erst jetzt, wo ich mit dir darüber rede, höre ich das Versprechen, das darin liegt: Ich werde Licht finden. Dieser Brief ist ausgerechnet heute gekommen, wo Amara uns mitteilt, dass sie uns verlässt. Um mich davon abzuhalten, einen Fehler zu machen. Als Blinde bin ich im Regenwald hilflos. Ich muss bleiben, wo ich bin. Bei euch.“
Während ich redete, löste sich die Angst, die mich umklammert hatte.
Plötzlich war ich wieder zuversichtlich und wusste, dass Magdalena falsch gelegen hatte: Es war richtig, sich nicht gegen das Schicksal aufzulehnen.
Eine plötzliche Heiterkeit ließ mich lächeln. „Darum bin ich doch wiedergekommen. Um mich von Lape zu verabschieden. Ich habe Lapes letzte Wochen begleitet, um zu wissen, was auf mich zukommt. Darin liegt für mich ein großer Trost. Es gibt keine Ungewissheit mehr. Was Kranke wirklich belastet, ist die Angst. Und die habe ich nicht. Denn ich kenne den Weg, den ich gehen werde. Ich habe ihn gesehen, Magdalena.“
„Du machst mir Angst, wenn ich dich so reden höre. Du kannst dich doch nicht auf das Leiden freuen!“
„Nein, natürlich nicht. Nicht wahr? So
Weitere Kostenlose Bücher