03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
und zum gemeinsamen Lernen!“
Dr. Rashids Stimme klang sehr freundlich, als er fragte: „Sehen Sie sich dazu in der Lage, Frau Egbeme?“
Ich antwortete ihm, dass es keinen Sinn habe, ihm und mir etwas vorzumachen. Egal wie viele Kinder Rashid an uns vermittelt hätte - meine Kräfte ließen es nicht mehr zu. Die Verantwortung wäre mir über den Kopf gewachsen. Deshalb musste ich diese letzte Gelegenheit, noch einmal als Heilerin arbeiten zu können, verstreichen lassen. Obwohl es mir sehr wehtat, Kindern meine Hilfe versagen zu müssen, die sie gewiss bitter nötig gehabt hätten.
„Das tut mir sehr Leid, Frau Egbeme“, meinte Dr. Rashid warmherzig.
„Ich wollte Sie mit meinem Vorschlag nicht in Verlegenheit bringen.“
„Aber es gibt eine Möglichkeit!“, rief Mama Bisi lei-denschaftlich. „Amara kommt doch wieder, Choga! Dann könnten wir die Kinder aufnehmen.“
„Zumindest ein paar, das stimmt“, pflichtete ihr Magdalena bei. „Wichtig ist doch, Choga, dass wir eine Perspektive haben, findest du nicht?“
Als gesunde Frau konnte sie so denken; mir fehlte dazu der Ansporn. Ich war eigentlich nur froh, wenn ich morgens die Augen aufschlug und noch etwas erkannte. Die Sorgen anderer Menschen, das machte mir das Gespräch schlagartig bewusst, waren in weite Ferne gerückt. Als lägen sie hinter dem Schleier, der sich vor meine Augen geschoben hatte.
„Wissen Sie was?“, fragte Bisi, „Choga und ich werden jetzt den Tee für Sie zubereiten.“ Sie griff nach meiner Hand. „Kommst du?“
„Etwas wollte ich Sie noch fragen“, sagte ich und erhob mich. „Haben Sie eigentlich Ihren Onkel besucht?“
„Ja, ich war bei ihm“, erwiderte Dr. Rashid. „Etwa eine Woche nachdem ich zuletzt bei Ihnen gewesen bin.“ Seine Stimme klang eigenartig belegt.
„Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich dazu aufgefordert haben.“
„Sind Sie etwa zu spät gekommen?“, fragte ich mit einer dunklen Ahnung.
Denn der Arzt wirkte sonderbar bedrückt.
Dr. Rashid machte eine lange Pause, bevor er weitersprach. „Er ist vor ein paar Tagen an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Wenn Sie mich nicht ermahnt hätten, zu ihm zu fahren, hätte ich ihn nicht mehr getroffen, um ihm für alles zu danken.“ Der Arzt trat zu mir und ergriff meine Hand; die seine war trocken und fest. „Die Begegnung mit Ihnen bedeutet mir sehr viel, rrau Egbeme. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich es bedauere, Ihnen nicht helfen zu dürfen. Ihr kleiner Sohn macht einen wirklich guten Eindruck. Geben Ie wenigstens ihm eine Chance. Ich nehme ihn in das
Programm auf, von dem ich Ihnen erzählt habe. Bei ihm hat es einen Sinn.
Das Virus ist effektiver zu bekämpfen, wenn der Typ genau bestimmt ist.
Ihr Tee hat lediglich eine allgemein vorbeugende Wirkung. Die Medizin aus den USA und Europa ist gezielter einsetzbar.“ Er klang, als wollte er mich beschwören. „Im Moment sehen Sie vielleicht keine Notwendigkeit. Aber keiner von uns weiß, was noch kommt.“ Dr. Rashid gab meine Hand frei und ich ging gemeinsam mit Bisi zum Heilhaus.
Wir beide machten uns daran, den Tee herzustellen. Ich fand mich ohne Schwierigkeiten zurecht und achtete peinlich genau darauf, die richtige Dosierung zu finden. Denn mir war bewusst, dieser Tee könnte viel bewirken: Rashids Kollegen würden ihn genau analysieren. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, etwas hinterlassen zu können, was bestehen würde, wenn es mich nicht mehr gab. Mit Tanishas Ausbildung war mir das nur teilweise gelungen. Doch vielleicht war Dr. Rashid, der Mann, der seine Gefühle stets verbergen wollte, jener Mensch, den Gott mir geschickt hatte. Zumindest ein Teil meines Wissens würde erhalten bleiben und irgendwann fremden Kindern und Erwachsenen zugute kommen. Vielleicht konnte ich auch auf diese Weise den Spruch von Eziras Orakel deuten: Hinter der Dunkelheit wartete die Klarheit.
„Bist du sicher, dass du Rashids Angebot, Josh zu therapieren, nicht annehmen willst?“, fragte Mama Bisi.
„Ich könnte ihn nicht ins Krankenhaus begleiten“, sagte ich. Diese Vorstellung machte mir Angst. Ich hatte mich noch nie von ihm getrennt.
Abgesehen davon hatte ich große Zweifel, dass mein Sohn in dem riesigen Krankenhaus wirklich gut betreut werden würde. Zum anderen hätte ich meinen Glauben an Mutter Erde verleugnen müssen. Wenn sie wollte, dass es meinem Sohn
gut ging, so würde sie mir den Weg dazu weisen. Denn ich war ihr Werkzeug. Das erklärte ich Mama
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