03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
erklärte ihr, dass ich es wegen meiner Augen nicht mehr wagen wollte. „Du wirst blind? Dann bleibe ich da!“, rief sie spontan.
„Nein, du musst fahren. Ich habe mir eingeprägt, wo alles ist, und ich werde noch heute Bisi anlernen, den Tee allein zu brauen, und ihr zeigen, wo die Zutaten stehen.“
„Es ist alles da“, sagte Amara. „Den Rest findet ihr im Kräutergarten.“
Dort kannte ich mich ohnehin aus. „Ich werde so schnell es geht wieder hier sein, Choga“, versprach sie und schloss mich in die Arme. „Ich lass dich so ungern allein. Versprich mir, mich anzurufen, wenn du Hilfe brauchst.“ Ich tat es und dann verteilten wir den Tee ein letztes Mal gemeinsam an meine
Scbwes-
tern und Josh. Als wir uns zum Abschied umarmten, versprachen wir uns, bis zu unserem Wiedersehen tapfer durchzuhalten.
Meine Schwester hatte mit Amara ausgemacht, dass sie die vier Frauen und die beiden Kinder mit dem Pick-up nach Jos bringen würde. Dort würden sie die Reise mit Bussen fortsetzen, was bequemer war, als hunderte von Kilometern auf einer offenen Ladefläche zu fahren. Wir würden den Pritschenwagen behalten und somit nicht völlig abgeschieden sein.
„Grüßt alle, die sich bei Amara noch an mich erinnern“, bat ich meine
Schwestern. „Ich war damals sehr gern dort.“
Bisi küsste Abidem, Jumoke und Yetunde, Dayo und Ijaba. Josh und die beiden Mädchen tobten mit Hope bis zur letzten Minute über den Hof.
Dann krabbelten Dayo und Ijaba auf die Ladefläche zu den drei jungen Frauen und winkten ihnen nach.
„Bis in ein paar Wochen. Ihr werdet sehen, die Zeit vergeht wie im Flug!“, rief Mama Bisi.
Joshs Hope
Magdalena kehrte kurz nach Mittag aus Jos zurück. Sie hatte Fassadenfarbe mitgebracht. Die warme Sonne hatte den Putz der fertig gestellten Kapelle getrocknet, und Ada legte die Leiter an, um mit dem ersten Anstrich zu beginnen.
„Wenn die anderen zurückkommen, werden sie staunen, wie schön hier alles ist!“, rief Josh begeistert und ging Ada zur Hand. Meine Patin ließ sich in den folgenden Tagen viel Zeit und gab Josh so Gelegenheit, selbst zu streichen. Mama Funke kümmerte sich um unser Haus, Bisi und ich waren entweder im Kräutergarten oder im Heilhaus. Die Tage waren sehr ruhig geworden.
Magdalena unterrichtete Josh fortan nicht mehr in der Schule. „Das weckt nur schmerzhafte Erinnerungen in ihm“, argumentierte sie. Die beiden setzten sich nun zum Lernen auf die Terrasse. Oft machte ich mit, wenngleich ich kaum erkennen konnte, was in den Büchern stand.
Magdalena nutzte mein vorgetäuschtes Nichtwissen, um Josh zu größerem Fleiß anzuleiten.
Ich hatte mich mit der Ruhe, die eingekehrt war, rasch abgefunden. Denn die Stille erinnerte mich ein wenig an jene in Eziras Compound. Ich beschloss, Magdalena zu bitten, ihr und Tanisha einen Brief zu schreiben, in dem ich gestand, dass ich nicht mehr kommen würde. Mit diesem Gedanken hatte ich mich lange herumgeschlagen, denn ich hatte befürchtet, dass es mir schwer fallen
würde. Doch es ging leichter als erwartet, Magdalena meine Worte zu diktieren.
„Die Dunkelheit hat mich fast erreicht“, bat ich meine Schwester zu schreiben, „doch sie wird keine Finsternis sein, die mich verschlingt. Denn ich bin zu Hause.“ Nur für meine Lehrerin fügte ich hinzu: „Auch hier werde ich das Licht der Klarheit finden.“
Solange es ging, wollte ich den Tee selbst bereiten, und das klappte auch ganz gut. Einmal trat ich gegen Abend aus dem Heilhaus, den Becher in der Hand, und rief meinen Sohn.
„Ich bin hier, Mama!“
Ich folgte dem Klang seiner Stimme, die mich zu unserer Kapelle führte.
Ich sah kaum etwas und rief ihn erneut.
„Ich bin auf der Leiter und streiche.“
„Wo ist denn Ada?“, fragte ich.
„Die kommt gleich wieder!“
Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Ich sah nach oben, erkannte aber praktisch nichts. Ich stellte den Tee ab, legte meinen Stock weg und ertastete die Streben der Leiter, die ich umklammerte. „Du musst da runterkommen, Schatz. Das ist viel zu gefährlich.“
„Ich bin noch nicht fertig, Mama!“, protestierte er.
„Das ist Adas Arbeit, Josh. Sie weiß, wie sie das machen muss. Wenn du runterfällst, brichst du dir sämtliche Knochen.“
„So hoch ist das nicht.“
Ich forderte ihn eindringlich auf, sofort zu mir zu kommen. Als er unten war, packte ich ihn an den Schultern. „Das machst du nie wieder!“
„Ich tu's nicht mehr“, sagte er gehorsam. „Wollte doch nur
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