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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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bereit?« fragte sie leise.
    »Ja«, sagte ich.

    Ich schlief in meinem eigenen Bett. Granny sagte, sie würde im
    Lehnsessel sitzen und mich wecken, wenn es zu schlimm würde.
    Natürlich konnte ich ewig nicht einschlafen. Ich starrte die
    holzgetäfelte Decke und die gewölbte Lichtkuppel an und war
    immer noch wach, als meiner Großmutter längst ihr Tristram
    Shandy aus der Hand gesunken war und sie friedlich schnarchte.
    Früher war der Schlaf eine glückliche Zeit der Wiedervereinigung mit Landen für mich gewesen, eine Abfolge schöner
    Stunden, die wir miteinander verlebt hatten: Cream Tea mit
    heißen Rosinenbrötchen vor dem Kamin oder goldene Augenblicke beim Sonnenuntergang am Meer, wenn wir in Zeitlupe
    über den Strand tollten. Aber das gab es schon lange nicht
    mehr. Seit mich Aornis verfolgte, waren meine Erinnerungen
    ein Schlachtfeld. Mit dem Jaulen einer Granate kehrte ich
    dorthin zurück, wo ich am wenigsten hinwollte – auf die Krim,
    zur größten Katastrophe des britischen Expeditionskorps.

    »Da bist du ja!« grinste Aornis aus dem Schützenpanzer, als die
    Verwundeten entladen wurden. Auf dem Verbandsplatz
    herrschten Chaos und Panik. »Sanitäter!« schrien die Soldaten
    und fluchten, während man kaum drei Kilometer entfernt das
    Wummern der russischen Artillerie hörte, deren Granaten die
    Überreste der Leichten Panzerbrigade aus Wessex in Klump
    schlugen. Sergeant Tozer versuchte immer noch, mit bloßen
    Händen das Blut zu stillen, das aus dem Beinstumpf eines
    Soldaten herausgepumpt wurde; ein anderer Soldat, der vom
    Schrapnell geblendet war, hielt sich die Hand vor die Augen
    und erklärte stammelnd seine Liebe zu einem Mädchen in
    Bradford-on-Avon.
    »Du hast in den letzten Nächten gar nicht geträumt«, sagte
    Aornis, während wir zusahen, wie die wimmernden Opfer der
    Schlacht aus dem Schützenpanzer geholt wurden. »Hast du
    mich gar nicht vermisst?«
    »Nicht im geringsten«, erwiderte ich. »Sind wir fertig?« fragte
    ich die Sanitäter. »Sind alle raus?«
    »Ja«, sagte einer Männer.
    Ich ließ mich auf den Fahrersitz fallen und legte den Hebel
    um, um die hintere Klappe zu schließen.
    »He!« schrie ein rotgesichtiger Offizier. »Wo wollen Sie hin?«
    »Ich hole die anderen, Sir!«
    »Den Teufel werden Sie tun! Wir verlangen eine Feuerpause
    und schicken Rot-Kreuz-Laster!«
    Das würde viel zu lange dauern, und das wussten wir beide.
    Ich zog die Turmluke zu, ließ den Motor aufheulen und raste
    zurück auf das Schlachtfeld. Der aufgewirbelte Staub bot mir
    Deckung – allerdings nur so lange, wie die Kanonen feuerten.
    Trotzdem hörte ich immer wieder das Jaulen der Granaten, und
    einer der Einschläge lag so nahe, dass die Druckwelle das Glas
    am Armaturenbrett bersten ließ.
    »Na, Thursday, Befehlsverweigerung?« sagte Aornis hämisch.
    »Dafür kannst du vors Kriegsgericht kommen.«
    »Bin ich aber nicht. Ich hab einen Orden bekommen.«
    »Aber du bist doch nicht wegen dem Lametta zurückgefahren?«
    »Es war meine Pflicht. Was denn sonst?«
    Das Getöse nahm zu, je näher ich dem Schauplatz des Feuerüberfalls kam. Ich spürte wie mein Panzer geschüttelt wurde.
    Das Dach sprang auf, und ein Sonnenstrahl fiel herein, ein
    Anblick von erschreckender Schönheit. Dieselbe unsichtbare
    Hand hob das Fahrzeug hoch und ließ es beinahe fliegen. Ein
    paar Meter fuhr ich auf einer Kette, dann fiel der Panzer wieder
    zurück in die Spur. Der Motor lief, der Schalthebel und das
    Lenkrad schienen in Ordnung, und so fuhr ich unbeirrt weiter.
    Erst als ich das Funkgerät einschalten wollte, wurde mir klar,
    dass die Granate das halbe Dach abgerissen hatte, und kurz
    darauf entdeckte ich einen blutenden Riss in meinem Gesicht.
    »Na schön, es war deine Pflicht, Thursday. Aber du hast es
    nicht für England, die Armee, das Regiment oder deine Einheit
    getan, Thursday, sondern für Anton, nicht wahr?«
    Plötzlich blieb alles stehen. Der Lärm, die Granaten, die Explosionen, einfach alles. Warum musste sie meinen Bruder ins
    Spiel bringen?
    »Anton«, flüsterte ich.
    »Ja, dein geliebter Bruder«, sagte Aornis. »Du hast ihn angebetet, nicht wahr? Von dem Tage an, als er dir ein Baumhaus im
    Garten gebaut hat, und vielleicht auch schon früher. Du bist in
    die Armee gegangen, um so wie er zu sein, nicht wahr?«
    Ich sagte nichts. Es war nur zu wahr. Tränen liefen mir über
    die Wangen. Anton war einfach der beste große Bruder gewesen, den sich ein Mädchen wünschen konnte.

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