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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Er hatte immer
    Zeit für mich und bezog mich in alles ein, was er tat. Mein Zorn
    darüber, dass ich ihn verloren hatte, hatte mich länger getrieben, als ich wahrhaben wollte.
    »Ich habe dich hierher gebracht«, sagte Aornis, »damit du
    siehst, wie es ist, wenn man einen Bruder verliert. Wenn du den
    Mann finden könntest, der deinen Bruder umgebracht hat, was
    würdest du mit ihm machen?«
    »Anton zu verlieren war nicht das moralische Äquivalent dazu, dass ich Acheron töten musste«, rief ich. »Hades hatte es
    verdient zu sterben. Anton hat nur seine Pflicht getan, auch
    wenn es ein sinnloser Krieg war.«
    Wir waren vor den Überresten von Antons Schützenpanzer
    angekommen. Die Kanonen feuerten jetzt nur noch sporadisch
    und suchten sich ihre Ziele genauer. Ich hörte stattdessen
    Gewehrfeuer, als die russische Infanterie vorrückte, um den
    Rest zu erledigen und das Gelände wieder zu besetzen, auf das
    unsere Panzerbrigade so leichtfertig vorgerückt war. Ich versuchte, die hintere Klappe meines Schützenpanzers zu öffnen.
    Sie klemmte, aber das war längst egal, denn die Seitentür und
    das Dach fehlten ohnehin. So schnell ich konnte, packte ich
    zweiundzwanzig Verletzte in den Innenraum, der eigentlich nur
    acht aufnehmen konnte, und heulte die ganze Zeit. Dann fand
    ich meinen Bruder. Es war wie ein Autounfall: Man weiß, was
    passieren wird, und kann doch nichts tun.
    »He, Thuzzy!« sagte Anton mit der tiefen Stimme, die ich so
    gut kannte. Nur er hatte je diese Kosenamen benutzt. Ich öffnete die Augen, und da war er in voller Lebensgröße und lächelte,
    trotz der Gefahr.
    »Nein!« rief ich, obwohl ich genau wusste, was jetzt kommen
    würde. »Halt! Komm nicht her!«
    Aber er tat es, so wie er es in all den Jahren getan hatte. Er
    kam aus der Deckung und humpelte auf mich zu. Die Flanke
    meines Panzers war weit aufgerissen, und ich sah ihn genau.
    »Bitte nicht!« schrie ich, die Augen voll Tränen. Die Erinnerung an diesen Augenblick verfolgte mich jahrelang. Alle Arbeit, in die ich mich stürzte, half nichts.
    »Hol mich, Thuz–!«
    In diesem Augenblick traf ihn die Granate.
    Er explodierte nicht etwa; er verschwand bloß in einer Art
    rotem Nebel. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich
    zurückgekommen bin. Später erfuhr ich, dass man mich verhaften und mit Gewalt im Quartier halten musste, um zu verhindern, dass ich zurück auf das Schlachtfeld fuhr, um meinen
    Bruder zu suchen. Erst an den nächsten Morgen erinnere ich
    mich wieder, als Sergeant Tozer mir sagte, ich sollte duschen
    und aufstehen. Ich erinnere mich noch, auf die kleinen Knochensplitter getreten zu sein, die beim Duschen aus meinen
    Haaren gespült worden waren.
    »Das möchtest du gerne vergessen, nicht wahr?« sagte Aornis
    und lächelte mir durch den heißen Dampf zu. Ich versuchte, sie
    am Hals zu packen, aber meine Finger griffen ins Nichts. Ich
    fluchte und schlug mit der Faust an die Wand.
    »Alles in Ordnung, Thursday?« rief Prudence, eine Funkerin,
    aus der nächsten Kabine. »Es heißt, du wärst zurück auf das
    Schlachtfeld gefahren. Ist das wahr?«
    »Ja, das stimmt«, sagte Aornis, »und jetzt fährt sie gleich
    noch einmal!«
    Die Duschkabinen verschwanden, wir waren wieder auf dem
    Schlachtfeld und ratterten in Staub und Rauch auf die brennenden Panzer zu.
    »Gut!« sagte Aornis und klatschte vergnügt in die Hände.
    »Ich denken, wir schaffen bestimmt noch acht Durchläufe, ehe
    es dunkel wird – findest du diese Wiederholungen nicht einfach
    herrlich?«
    Ich hielt den Schützenpanzerwagen neben den zerstörten
    Panzern an, und die Verwundeten wurden eingeladen.
    »He, Thursday!« sagte eine vertraute Stimme zu mir. Ich öffnete meine Augen und sah erneut den Soldaten mit dem blutigen Gesicht, der nur noch zehn Sekunden zu leben hatte. Aber
    diesmal war es nicht Anton. Diesmal war es ein anderer Offizier
    – der in den ich mich vor einigen Wochen verliebt hatte.

    »Thursday!« sagte Granny mit lauter Stimme. »Thursday, wach
    auf!«
    Ichwar wieder in meinem Bett an Bord der Sunderland,
    schweißgebadet. Es war alles nur ein böser Traum gewesen –
    aber das machte die Sache nicht besser, im Gegenteil.
    »Anton ist gar nicht tot«, schnatterte ich. »Er ist gar nicht auf
    der Krim gefallen, sondern dieser andere Kerl. Und deshalb ist
    der auch nicht da. Dabei hab' ich immer gedacht, die ChronoGarde hat ihn genichtet, aber das stimmt gar nicht, und –«
    »Thursday!« schnappte Granny dazwischen.

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