03_Im Brunnen der Manuskripte
eine Terrorgruppe mit dem Namen
Dänische Doggen gedroht hatte, ihn zu ermorden, weil sie
hofften, den BuchWeltPreis in der Kategorie Schwierige Liebhaber auf diese Weise für Hamlet zu sichern. Ich blätterte auf
Seite zwei, wo ich einen langen Artikel über die Vorzüge von
UltraWord™ fand. Daneben stand ein Offener Brief von TextGrandCentral, in dem versichert wurde, es würde sich nichts
ändern und alle Arbeitsplätze und Privilegien blieben erhalten.
Der Aufzug hielt im Ersten Stock. Ich ging zu Verstand und
Gefühl und las mich hinein. Die Demonstranten waren immer
noch da. Inzwischen hatten sie Zelte und Kohlenbecken vor
Norland Park aufgestellt und sich mit einer Blaskapelle verstärkt. Sobald sie mich erblickten, gingen die Sprechchöre los:
»Wir brauchen Urlaub, wir brauchen Urlaub …«
Eine müde alte Frau mit ungewöhnlich vielen Bettfedern auf
ihrem Kittel gab mir ein Flugblatt. »Dreihundertfünfundzwanzig Jahre mache ich den Job jetzt schon«, sagte sie, »und nicht
ein einziges freies Wochenende hab ich gehabt.«
»Das tut mir leid.«
»Wir wollen kein Mitleid«, sagte Solomon Grundy, der ebenfalls ziemlich groggy aussah (schließlich hatten wir Samstag).
»Wir wollen, dass was passiert. Wir Mündlis wollen dieselben
Rechte wie alle anderen Fiktionäre.«
»Genau«, sagte ein junger Mann mit Stock und Hut, »es geht
nicht ums Geld. Keine noch so große Summe kann die Bruderschaft für die endlosen, stumpfsinnigen Wiederholungen entschädigen, denen wir seit Jahrhunderten ausgesetzt sind. Wir
verlangen, dass alle Mündlis einen sofortigen Erholungsurlaub
von zwei Wochen erhalten. Außerdem –«
»Wirklich«, sagte ich. »Sie reden mit der falschen Person. Ich
bin nur eine Auszubildende. Jurisfiktion ist sowieso nicht in der
Lage, irgendwelche tarifpolitischen Entscheidungen zu treffen.
Da müssen Sie schon mit dem GattungsRat reden.«
»Der GattungsRat hat uns zur Textzentrale geschickt, und
die hat uns an den Großen Panjandrum verwiesen«, sagte
Humpty-Dumpty, und seine Spießgesellen nickten dazu, »aber
niemand scheint zu wissen, ob der oder die Große Panjandrum
überhaupt existiert.«
»Wenn du ihn nie siehst«, sagte Little Jack Horner, »dann
existiert er wahrscheinlich auch nicht. Mag jemand eine Hackfleisch-Pastete?«
»Vincent Price hab' ich auch nie gesehen«, sagte ich. »Aber
ich weiß durchaus, dass er existiert.«
»Wer?«
»Ein Schauspieler«, sagte ich und kam mir ein bisschen blöd
vor. »Bei mir zu Hause.«
»Sie reden ziemlichen Unsinn, Miss Next«, sagte HumptyDumpty, und seine Augen verengten sich misstrauisch.
»Ach was«, sagte ich.
»Ein Mungo!« schrie Humpty-Dumpty, zog einen kleinen
Revolver und warf sich in eine große schlammige Pfütze.
»Aber nein«, sagte der junge Mann müde. »Das ist bloß ein
Blindenhund. Stecken Sie die Pistole weg, ehe Sie noch jemand
verletzen.«
»Ein Blindenhund?« sagte Humpty-Dumpty und stand vorsichtig wieder auf. »Bist du sicher?«
»Habt ihr mit WortMeister Libris gesprochen?« fragte ich.
»Von dem wissen wir wenigstens, dass er existiert.«
»Der redet doch gar nicht mit uns«, sagte Humpty-Dumpty
und wischte sich mit einem großen Taschentuch ab. »UltraWord™ lässt sich auf mündlich überlieferte Texte nicht anwenden, deshalb interessiert er sich überhaupt nicht für uns. Wenn
wir unsere Ansprüche jetzt nicht geltend machen, kriegen wir
nie was.«
»Libris weigert sich, mit euch zu sprechen?« fragte ich.
»Er schickt uns Aktennotizen«, quiekte eine von drei
schwanzlosen Mäusen, die alle dunkle Brillen und gelbe Armbinden mit drei schwarzen Punkten trugen und sich an einem
Blindenhund festhielten. »Er hat uns mitgeteilt, er sei sehr
beschäftigt, schenke unserem Anliegen aber seine ›volle Aufmerksamkeit‹.«
»Was ist los?« quiekte eine der anderen Mäuse. »Ist das Miss
Next?«
»Es ist eine glatte Ablehnung«, sagte Humpty-Dumpty. »Aber wenn wir keine vernünftige Antwort bekommen, wird es
bald keine Kinderreime mehr geben, weder gesprochene noch
gedruckte. Um Mitternacht beginnen wir einen 48-stündigen
Warnstreik. Wenn den Eltern die Worte ausgehen und keine
Reime mehr einfallen, wird es ein ganz schönes Geschrei geben,
das kann ich Ihnen sagen!«
»Es tut mir leid«, begann ich erneut. »Ich bin wirklich nicht
autorisiert – ich kann gar nichts machen –«
»Können Sie wenigstens WortMeister Libris diese Nachricht
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