03_Im Brunnen der Manuskripte
Milchkaffee getunkten Croissants zu erläutern, als der Briefschlitz klapperte und ein Exemplar der Toad auf den Fußboden plumpste.
Der einzige Bericht befasste sich mit irgendwelchen Schießereien zwischen Drogenbanden in Reading. Das gehörte zur
Handlung von Caversham Heights und erinnerte mich schmerzlich daran, dass ich früher oder später – wahrscheinlich früher –
in die Rolle von Mary würde schlüpfen müssen, wenn ich
meinen Verpflichtungen aus dem FigurenAustauschProgramm
gerecht werden wollte.
Ich las mir die von Mary gelieferte Zusammenfassung noch
einmal durch, die mir zwar einen umfassenden Eindruck vom
Inhalt der einzelnen Kapitel verschaffte, aber keine Angaben
darüber enthielt, was ich denn genau sagen oder tun musste. Ich
hatte auch nicht sehr lange Zeit, darüber nachzudenken, denn
plötzlich klopfte es, und ein Mann mit einem Hut namens
Wyatt erschien.
»Entschuldigung«, sagte er verlegen. »Natürlich heißt nicht
der Hut Wyatt.«
»Das hab' ich mir fast gedacht, Mr Wyatt.«
Ausgeleiert und hölzern hielt er sein Klemmbrett.
»Oh, verflixt!« sagte er wie jemand, der gerade George Sand
in einem Saal voller Französischlehrerinnen mit dem Personalpronomen »er« zu bezeichnen versucht hat. »Jetzt ist es schon
wieder passiert.«
»Stört mich überhaupt nicht«, sagte ich. »Was kann ich für
Sie tun, Mr Wyatt?«
»Sehr liebenswürdig. Als Angehörige des FigurenAustausch-Programms möchte ich Sie bitten, sich nach Reading zu begeben, äh –« Seine Schultern sanken herab. »Nein, ich bin ja gar
keine Angehörige des FigurenAustauschProgramms, das sind
Sie. Und deshalb möchte ich Sie bitten, nach Reading zu fahren.«
»Gewiss doch. Haben Sie eine genaue Adresse für mich?«
Schmutzig und eselsohrig reichte er mir den Lieferschein von
seinem Klemmbrett. Und noch ehe er sich erneut entschuldigen
konnte, sagte ich: »Alles klar, ich habe verstanden.«
Sein Zustand war offenbar chronisch, aber als er merkte, dass
ich ihm sein Leiden nicht übel nahm, hellte seine Stimmung
sich auf.
»Trotz des seit zehn Jahren über uns schwebenden VerschrottungsBefehls sollten Sie das bitte ernst nehmen«, sagte er.
»Die letzte AustauschFigur war da sehr nachlässig. Wir mussten
sie staubig und asphaltbedeckt auf der Straße davonjagen.«
Er hob fragend eine Augenbraue.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen«, versicherte ich.
Er bedankte sich klein, braun und buschig, lüpfte den Hut
namens Wyatt und machte sich dünn.
Ich nahm Marys Wagen und fuhr auf der M4 nach Reading. Die
Autobahn schien genauso belebt wie zu Hause, wo ich dieselbe
Strecke schon oft zurückgelegt hatte, wenn ich von Swindon
nach London oder zurück musste. Erst als ich auf der Höhe der
Burghfield Road war, wurde mir bewusst, dass nur ungefähr
sechs verschiedene Fahrzeugtypen mit mir unterwegs waren.
Bewusst wurde mir dieses merkwürdige Phänomen, als mir der
dritte weiße Lieferwagen mit der Aufschrift Dr. Spongg's Fuß-pflege entgegenkam, die alle denselben Fahrer im blauen Overall
hatten. Das nächste Fahrzeug war ein von einer jungen Frau
gesteuerter roter VW, gefolgt von einem älteren Mann mit
einem verbeulten Morris Marina. Als ich den Tatort des ersten
Mordes in Caversham Heights endlich erreicht hatte, hatte ich
dreiundvierzig weiße Fußpflege-Lastwagen, dreiundzwanzig
rote Käfer und sechzehn blaue Morris Marinas mit identischen
Beulen gezählt. Außerdem gab es noch ein paar grüne Ford
Escorts und einige weiße Chevrolets. Das konnte nur daran
liegen, dass der Text ein bisschen beschränkt war, deshalb stellte
ich eilig den BMW ab, las noch einmal Marys Notizen, holte tief
Luft und stöckelte über den Platz. Den uniformierten Polizisten
zeigte ich meinen Ausweis und duckte mich unter der Absperrung weg.
Der Tatort war ungefähr sechs Meter breit und acht Meter
lang und von hohen Ziegelmauern mit bröckelndem Mörtel
umgeben. Ein großes, weißes SOCO-Zelt erhob sich über der
Szene, und neben der detailliert beschriebenen Leiche kniete
eine Gerichtsmedizinerin und diktierte ihre Beobachtungen auf
ein Tonbandgerät.
»Hallo!« sagte eine joviale Stimme neben mir. Ich drehte
mich um und sah einen fülligen Mann in einem Trenchcoat,
der mich leutselig angrinste.
»Detective Sergeant Mary«, sagte ich diensteifrig. »Aus Basingstoke hierher versetzt.«
»Darum brauchen wir uns jetzt noch nicht zu kümmern«,
lächelte er. »Die Handlung beschäftigt sich
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