03_Im Brunnen der Manuskripte
Bauernjunge Johnny, der Besitzer von Shadow, demnächst den Tierarzt aufsuchen
würde, um das Augenlicht seines Hundes überprüfen zu lassen.
Es schien mir ratsam, mich mit den Verhältnissen vertraut zu
machen. Wenn es mir gelingen würde, den Tierarzt zum Austausch der Hunde zu überreden, statt ihm Befehle erteilen zu
müssen, dann würde das meine Aufgabe deutlich erleichtern.
Das Städtchen, in dem ich landete, war der Mittelpunkt einer
ländlichen Idylle, wie es sie im England der vierziger Jahre wohl
noch überall gab – so eine Mischung zwischen Warwickshire
und den Dales. Jede Menge grünes Gras, ausstellungsreifes
Vieh, mit gelben Flechten überzogene Häuser aus Feldsteinen,
Sonnenschein und gesund aussehende, lächelnde Menschen.
Pferdegespanne mit hoch beladenen Heuwagen zogen über die
Hauptstraße, während nur ab und zu ein Auto vorbeituckerte.
Auf den Fensterbrettern standen Pasteten zum Abkühlen, und
die Kinder spielten mit Reifen und kleinen Dampfmaschinen
aus Blech. Der Duft von frisch gemähtem Gras, sauberer Wäsche und herzhaftem Essen lag in der Luft. Es war eine verbrechensfreie Welt der frühen Mahlzeiten, leckerer Nachtische,
ewiger Sommer und grenzenlos guter Gesundheit. Das Leben
hier musste herrlich sein – für ungefähr eine Woche.
Eine Passantin nickte mir zu.
»Wunderschöner Tag!« sagte sie höflich.
»Ja. Was ich –«
»Ob's später noch regnet?«
Ich sah zu den duftigen Wölkchen auf, die über uns hinsegelten. »Glaube ich nicht, aber könnten Sie mir –«
»Na, dann bis später!« sagte sie höflich und war wieder weg.
Ich ging eine kleine Gasse hinunter und leinte den Hund an
einer Regenrinne fest. Es schien nicht angebracht, ihn stundenlang in der Stadt spazieren zu führen. Dann ging ich die Hauptstraße hinunter und sah mich um. Erst kam ein Fleischer, dann
ein paar Häuser weiter ein Tea-room, ein Süßigkeitenladen, in
dem es nichts als Dauerlutscher, Pfefferminzbonbons, Lakritz,
Ingwerbier und Limonade gab, und schließlich ein Zeitschrif-tengeschäft mit angeschlossenem Postamt. Die Straßenfront des
Ladens war gepflastert mit bunten Emailleschildern, die Fry's
Schokolade, Colman's Wäschestärke, Wyncarnis Sodawasser,
Ovaltine und Lyons Tee anpriesen. Ein kleines Schild teilte mir
mit, dass es im Inneren ein öffentliches Telefon gab, während
sich ein Postkartenständer und eine Kiste mit frischem Gemüse
den Platz auf dem Bürgersteig teilten. Ein paar Tageszeitungen
waren auch ausgestellt, und die Schlagzeilen spiegelten Tagesereignisse, die eigentlich keine waren.
England weiterhin beliebtestes Königreich, hieß es da. Wissenschaftliche Untersuchung: Ausländern kann man nicht trauen
oder »Pepp«, ein neues Modewort erobert die Werbung.
Ich trat ein, kaufte einen Bogen schönes Briefpapier und einen dazu passenden Umschlag und schrieb an einem Stehpult
den Brief an Johnnys Vater, den ich mir ausgedacht hatte. Der
beiliegende Scheck, schrieb ich, diene zur Begleichung eines
Darlehens, das ich vor langer Zeit erhalten habe. Kaum hatte
ich ihn am Schalter abgegeben und die Briefmarke bezahlt,
erschien auch schon ein Postbote, nahm ihn mit größter Ehrfurcht aus den Händen der Beamtin entgegen und setzte sich
auf sein Fahrrad, um ihn an seinen Bestimmungsort zu bringen.
Es gab wohl nicht viele Briefe in diesem Roman.
Vor dem Laden blieb ich einen Augenblick stehen und sah
den Bewohnern des Städtchens zu. Ohne Vorwarnung begann
eins der Zugpferde, einen großen Haufen Pferdeäpfel auf die
Fahrbahn fallen zu lassen. Sogleich erschien eine rotgesichtige
alte Frau mit Schaufel und Eimer und sammelte die Beute ein.
Ich beschloss, dem örtlichen Auktionator einen Besuch abzustatten.
»Also nur, damit ich Sie richtig verstehe«, sagte Mr Phillips, ein
schwerfälliger, humorloser Mann mit einem Monokel im Auge,
»Sie wollen also Schweine zum Dreifachen des üblichen Preises
ersteigern? Warum?«
»Nicht irgendwelche Schweine«, sagte ich müde, denn ich
hatte ihm nun schon seit einer halben Stunde zu erklären versucht, was ich wollte. »Nur die Schweine von Johnnys Vater.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, sagte der Auktionator, stand auf und ging zum Fenster. Das schien er häufiger zu
machen, denn der Teppich zwischen seinem Schreibtisch und
dem Fenster zur Straße war schon ganz abgeschabt. An einigen
Stellen sah man sogar die Dielen durchschimmern. Ein zweiter
eingespurter Weg führte von der
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