03_Im Brunnen der Manuskripte
einmal kurz umzusehen.
Mr Phillips hatte sich wieder gesetzt und schien völlig erschöpft von der Aufregung.
Ich beeilte mich, meinen Vorteil zu nutzen. »Sind wir im Geschäft? Oder soll ich den Tisch wieder dahin stellen, wo er
zuvor war?«
Er sah mich erschrocken an. »Das können Sie doch nicht
machen?«
»Und ob.«
Er überlegte einen Moment und streckte mir dann seine
Hand hin. »Zwei Schweine zum dreifachen Preis?«
»Oben auf Seite zwo-drei-zwo!«
»Schlagen Sie ein!«
Hochzufrieden mit meinen bisherigen Taten, holte ich meinen
Hund wieder ab und sprang auf die Mitte von Seite zweihundertzweiunddreißig. Die Versteigerung der beiden Schweine
von Johnnys Vater war die Sensation des Tages und wurde
sogar im Lokalblatt erwähnt: Nie da gewesene Schweinepreise
schockieren die Stadt. Jetzt musste ich nur noch eins tun: den
blinden Collie ersetzen.
»Ich suche den Tierarzt«, erklärte ich einer Passantin.
»Ach, ja?« sagte die Frau vergnügt. »Wie schön für Sie!« Und
lief weiter.
»Könnten Sie mir sagen, wo ich den Tierarzt finde?« fragte
ich den nächsten Passanten, einen Mann von blasser Gesichtsfarbe in einem grauen Anzug.
Er nahm es genauso wörtlich. »Ja, das könnte ich«, sagte er
und ging weiter. Ich versuchte, ihn am Ärmel zu halten, erwischte aber versehentlich seine Hand. Er stieß einen erschrockenen Schrei aus. Zwei Frauen, die den Zwischenfall beobachtet hatten, machten huch! und fingen an, heftig zu tuscheln. Ich
zog meinen Ausweis heraus.
»Jurisfiktion«, sagte ich dem blassen Mann. »Ich bin dienstlich hier.« Nur damit keine Irrtümer auftraten.
Aber es hatte sich etwas verändert. Die Stadtbewohner, die
bisher wie Automaten durch die Straßen marschiert waren,
hatten sich plötzlich in beseelte Individuen verwandelt, die
flüsterten, lachten und zeigten. Ich war eine Fremde in einer
fremden Gegend, und obwohl die Stadtbewohner nicht direkt
feindselig waren, schien ich doch Gegenstand höchsten Interesses zu sein.
»Ich muss zum Tierarzt«, rief ich laut. »Kann mir vielleicht
jemand sagen, wo er wohnt?«
Die beiden Damen, die so heftig miteinander geredet hatten,
lächelten plötzlich und nickten sich zu. »Wir zeigen Ihnen die
Praxis!«
Ich ließ den blassen Mann stehen, der mich immer noch
merkwürdig anstarrte. Ich nahm es ihm nicht weiter übel. Die
Leute starren mich oft komisch an.
Ich folgte den beiden Damen zu einem kleinen Haus, das etwas zurückgesetzt an der Straße stand, bedankte mich bei ihnen
und ging durch den Vorgarten. Während die eine am Gartentor
stehen blieb und mir nachsah, schien es die andere plötzlich
sehr eilig zu haben. Ich klingelte an der Tür.
»Hallo?« sagte der Tierarzt, der mir persönlich aufmachte. Er
hatte an diesem Tag nur einen Patienten erwartet – Johnny mit
seinem Collie – und war deshalb sehr überrascht. Er würde
Johnny mitteilen müssen, dass Shadows Augenlicht für immer
zerstört war.
»Dieser Hund«, sagte er automatisch, »wird nie wieder sehen
können. Es tut mir leid, aber so ist es nun einmal.«
»Jurisfiktion«, sagte ich zu ihm und zeigte ihm meinen Ausweis. »Der Plott wird geändert.«
»Wenn Sie aus Negerküssen Sckokokremhütchen machen
wollen, sind Sie im falschen Buch«, sagte er.
»Keineswegs«, sagte ich lächelnd.
»Um was für Änderungen geht's denn dann?« fragte er, während ich ihn sanft ins Haus zurückdrängte und die Tür hinter
mir schloss. »Wollen Sie die unappetitlichen Klischees über die
Sinti und Roma in Kapitel dreizehn bis fünfzehn wegredigieren?«
»Dazu kommen wir später, keine Sorge.«
Ich hatte nicht die Absicht, noch mal so ein Theater mitzumachen wie mit Mr Phillips, deshalb sah ich mich vorsichtig
um und flüsterte schließlich: »Ich darf es Ihnen eigentlich gar
nicht sagen, aber böse Menschen haben die Absicht, Shadow an
ein Labor zu verkaufen für medizinische Experimente.«
»Nein!« rief der Tierarzt mit weit aufgerissenen Augen.
»Und ob! Wir haben sogar den Verdacht, dass diese Leute
nicht einmal Engländer sind.«
»Sie meinen … Ausländer?« fragte der Tierarzt, sichtlich geschockt.
»Ja, womöglich Deutsche oder Franzosen. Also, was ist? Arbeiten Sie mit mir zusammen?«
»Na klar!« hauchte er. »Was sollen wir machen?«
»Wir vertauschen die Hunde. Wenn Johnny kommt, bitten
Sie ihn, einen Augenblick hinauszugehen. Wir tauschen die
Hunde aus, und wenn Sie zurückkommen, nehmen Sie dem
Tier den Verband ab.
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