03 - Keiner wie Wir
wollte, nahm er ihr mittlerweile sogar ab. Wenn er den leisen Argwohn auch nie ganz ablegte. Bei dieser Person konnte man nie wissen …
Sie aß Hähnchenfleisch mit Reis und Gemüse, was mit Sicherheit keiner Überflutung von Kalorien zur Folge haben würde. Also lief für Tina alles nach Plan, für Daniel derzeit weniger, aber er arbeitete angestrengt daran, das zu ändern.
Verstohlen sah er sich um und wurde prompt in seiner Ahnung bestätigt. In nahezu jedem männlichen Gesicht glühte unübersehbar der Neid. Es war ein äußerst befriedigendes Gefühl zu wissen, dass sie bei Tina keine Chance bekommen würden.
Er schon.
Denn das Objekt der allgemeinen Begierde hatte nur Augen für den Mann, der ihr direkt gegenübersaß und die Blicke hätten nicht einmal überzeugte Pessimisten, zu denen sich Daniel nicht unbedingt zählte, fehldeuten können.
Früher hätte er so etwas als Glotzen bezeichnet. Inzwischen älter, reifer und verliebter, sah er auch das bedeutend gelassener. Denn um ehrlich zu sein, hatte er nicht damit gerechnet, sie noch einmal derart versunken erleben zu dürfen.
Außerdem stellte es ungeahnte, abenteuerliche Dinge mit ihm an, weshalb er sich eher die Zunge abgebissen hätte, als sie auf ihr Vergehen aufmerksam zu machen.
Es gab nur ein Problem:
Unter diesem glasigen Blick wurde Daniel mit jeder Sekunde heißer. Seinetwegen durfte Tina ihn ständig anglotzen. Rund um die Uhr, vierundzwanzig Stunden lang.
Einzige Einschränkung:
Bitte nicht in einem Restaurant, auf der Straße oder an einem anderen öffentlichen Ort, an dem er nicht angemessen darauf reagieren durfte.
Die hochgradigen Schwingungen, die da zwischen ihnen ausgetauscht wurden, entgingen ihr auch nicht.
Denn Tina brach kaum einmal den Augenkontakt, was das Essen übrigens zu einer echten Herausforderung werden ließ. Die Augen wurden immer größer und sie nagte geistesabwesend auf ihrer Unterlippe herum.
Diese kleine Geste der Unsicherheit tolerierte Daniel mittlerweile nicht nur, er hatte sogar gelernt, sie zu lieben.
Früher bei Tina Programm, ertappte er sie heute nämlich nur noch sehr selten bei Derartigem.
Leider.
Wenig später schlenderten sie Hand in Hand nach Hause.
Und Daniel überlegte währenddessen, ob er den jüngsten Entwicklungen möglicherweise etwas hinterher hinkte.
Tina veränderte sich so schnell, dass er kaum in der Lage war, alles zu bemerken. Mehr und mehr schien sie die alte zu werden, jenes Mädchen, das ihn so unübersehbar wollte, unschuldig, naiv, unverbraucht und gerade deshalb so unwiderstehlich.
Okay, im Zusammenhang mit der heutigen Tina von ‚Unschuld‘ zu sprechen, klang vielleicht seltsam, doch er blieb dabei.
Was auch immer sie innerhalb der vergangenen Jahre erlebt haben mochte, es konnte diese gewisse Naivität nicht bezwingen. Auch die war ein anscheinend unauslöschlicher Teil von ihr, und Tina insgesamt die einzige Person, in deren Macht es lag, ihm das Gefühl zu geben, Kliniken, WHOs und ÄOGs wären die unwichtigsten und nebensächlichsten Angelegenheiten der Welt.
In ihrer Gegenwart – und nur in ihrer – erfuhr Daniel vollkommene Zufriedenheit.
Ein wirklich großartiger Gedanke, wenn man es genau nahm und dem grausamen Kitsch dahinter keine Beachtung schenkte.
Unwillkürlich zog er sie an sich und legte einen Arm um ihre zierlichen Schultern. Als sie fragend zu ihm aufsah, schüttelte er lächelnd den Kopf. »Alles in Ordnung.«
Und das entsprach der reinen Wahrheit.
Tina fragte nicht, bedachte ihn nur mit einem jener gefährlichen Blicke, die in ihm diese äußerst riskanten Ideenschübe auslösten. In der dunklen Straße war weit und breit kein Passant zu sehen, selbst die meisten Fenster der endlosen Häuserwand, waren mittlerweile dunkel. Zahlreiche verborgene Winkel blieben von den Scheinwerfern vorbeifahrender Autos unerfasst.
Und – auch nicht sonderlich hilfreich: Daniels Sexabstinenz ging in den sechsten Monat.
Er räusperte sich heiser, als seine Phantasie endgültig mit ihm durchzugehen drohte, verstärkte den Druck seines Armes und lief ein wenig schneller. Vielleicht verlor er tatsächlich langsam den Bezug zur Realität. Überrascht hätte es ihn nicht sonderlich, schon gar nicht, wenn er an ihren Besuch im Central Park zurückdachte. Denn als Tina auf die glänzende Idee gekommen war, sein Hemd aufzuknöpfen, hatte er für ein paar geistlose Momente für nichts mehr garantieren können.
Sie machte ihn wahnsinnig!
Und das jedenfalls war
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