03 - Keiner wie Wir
nie erlebt: Dass er bei einer anderen Frau übernachtete (Tina hätte diesen sogenannten ‚Frauen‘ ja nach wie vor die Bezeichnung ‚Schlampe‘ gegeben). Neuerdings war sie sogar wahnsinnig genug, auch nicht länger daran zu zweifeln, dass er zu ihr kam.
Ein Wunsch überwog jedoch alles und verwies die wenigen, möglicherweise noch verbliebenen Bedenken, endgültig ins Abseits:
Sie wollte mit Daniel zusammen sein und sollten Tina nicht neuerdings alle Sinne täuschen, dann wollte er das Gleiche.
Nebenbei machte sie soeben die Erfahrung, dass ihre relativ unausgegorene, eher spontane Entscheidung tatsächlich zu funktionieren schien: Man konnte auch von einem festen Firmensitz aus arbeiten. Die meisten Geschäftspartner akzeptierten ihre Ankündigung, die Aufträge ab sofort größtenteils aus NYC zu erledigen, ohne Proteste.
Die meisten, nur bedauernswerterweise nicht alle.
Mit den Jahren hatte sich so etwas wie ein fester Kundenstamm etabliert, den Tina mit viel Aufwand hegte und pflegte. Sie betreute nicht jedes Unternehmen, wählte ganz genau aus, für wen sie dauerhaft tätig sein und nicht nur als Rettung in höchster Not fungieren wollte. Ursprünglich war dies für die Zeit danach gedacht. Auch wenn sie bis vor Kurzem keinen Schimmer gehabt hatte, wie und wann dieses Danach überhaupt Realität werden sollte. Erst jetzt war sie schlauer und beglückwünschte sich für ihre Weitsicht. Nur leider zeigten sich gerade einige ihrer festen Kunden absolut nicht bereit, die neueste Veränderung auch zu akzeptieren. Und gemeinerweise betraf das gerade jene, auf die Tina unter keinen Umständen verzichten wollte.
Es lag an ihrem Ehrgeiz, dass sie auf deren Sonderwünsche einging. Denn sie konnte nicht vergessen, wie viel Kraft und Energie es sie gekostet hatte, so weit zu kommen.
Und deshalb ging Tina den einen oder anderen Kompromiss ein, der im Grunde nicht länger erforderlich gewesen wäre.
* * *
A ls am frühen Donnerstagabend das Telefon klingelte und sich ein äußerst aufgebrachter Mr. Reynolds am anderen Ende meldete, wusste Tina sofort, dass es kein Entrinnen gab.
Er wirkte nicht nur hysterisch, sondern akut hysterisch. Tina hätte geschworen, dass der Herr kurz vor einem ausgewachsenen Heulkrampf mit nachfolgendem Herzinfarkt stand. Alles halb so wild, hätte es sich hierbei nicht um einen bulligen Mann in den Fünfzigern gehandelt, der ungefähr zwei Meter groß und zwei Zentner schwer war.
Reynolds forderte ihr sofortiges Erscheinen!
Es kostete Tina einige Minuten, um aus ihm herauszubekommen, was überhaupt geschehen war. Viel erfuhr sie nicht, verstand nur »... Umsatzzahlen, Einbruch, mein Idiot, von Sohn ...« Das genügte, um wenigstens rudimentär im Bilde zu sein.
»Ich komme«, sagte sie, ohne dies zuvor ausgiebig zu überdenken. Alles Weitere war ihr schon vor Jahren in Fleisch und Blut übergegangen.
Noch auf dem Heimweg telefonierte Tina bereits mit der Fluggesellschaft und buchte das Ticket.
Angekommen im Appartement stürzte sie in ihr Zimmer, warf eilig ein paar Sachen in einen Trolley, nahm den und ihre Tasche und huschte wieder hinaus.
Erst, als sie im Taxi saß, diesmal auf dem Weg zum Airport, fiel ihr ein, dass sie Daniel keine Nachricht hinterlassen hatte. Flüchtig dachte sie daran, umzukehren, entschied sich aber dagegen. Möglicherweise hätte sie dann den Flug verpasst. Die Zeit drängte! Er würde sowieso arbeiten und ihr Fehlen überhaupt nicht bemerken. Trotzdem nahm sie sich vor, ihn anzurufen, wenn er Feierabend hatte.
Auf den Start ihres Flugzeuges nach Atlanta musste sie am Ende mehr als fünf Stunden warten. Wegen starken Regens wurde er viermal in Folge verschoben. Und so saß sie an ihrem Laptop und versuchte, dahinterzugelangen, in welcher Größenordnung Reynolds Dilemma rangierte.
In Atlanta angekommen, warf Tina ihren Koffer im Hotel ab, das Zimmer hatte sie bereits im Taxi reserviert, und machte sich sofort auf den Weg zu Reynolds Unternehmen.
Der empfing sie total übernächtigt. Inzwischen war der Freitag herangebrochen, aber die Dämmerung ließ bisher auf sich warten. So, wie der Mann aussah, war er seit mindestens zwei Tagen auf den Beinen und hatte nicht vor, diese Erfolgsserie demnächst zu beenden.
* * *
I n den folgenden zwölf Stunden arbeiteten sie gemeinsam eine Rettungskampagne aus, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.
Jedenfalls war Tina davon überzeugt.
Glücklicherweise war es nicht ihr Verschulden, dass der Mann
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