03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
nicht zu vergessen.
»Baptiste?«
»J’su ici«, sagte er und richtete den Blick auf Heathers Antlitz. Seine Schläfen pulsierten schmerzhaft. Ihre Verbindung ließ ihn ihre Sorgen spüren, aber auch das Versprechen völliger Stille. Eine Stille, die er später möglicherweise wieder brauchen würde.
Sie sah ihn mit ernster Miene fragend an. »Was, wenn du Loki nicht befreien kannst oder er sich weigert, dich beziehungsweise uns nach Gehenna zu bringen?«
»Dann werden wir eine andere Möglichkeit finden, dorthin zu gelangen.«
Ein bekümmertes Lächeln huschte über ihren Mund. Sie küsste ihn. »Viel Glück.«
»Viel Glück«, flüsterte Dante.
Er half Heather, über das schmiedeeiserne Tor zu klettern, und sprang dann hinüber. Obwohl Stunden vergangen waren, seit sie auf Mauvais’ Handlanger gestoßen waren, konnte Dante noch immer das von Adrenalin gewürzte Blut im Gras und auf den Wegen riechen.
In ihm meldete sich der Hunger – klar und deutlich. Er versuchte, sich auf den vom Mondlicht beschienenen Weg unter seinen Stiefeln zu konzentrieren und den Hunger für den Moment zu vergessen.
Allerdings würde er irgendwann trinken müssen, und zwar bald.
Am Grab mit dem Namen Baronne blieb er stehen. Ihm wurde mit einem Schlag kalt, als er sah, dass Loki verschwunden war. Die Mardi-Gras-Plastikperlen, die zerknitterten Papierfetzen und die Glückskreuze aus Kreide auf dem Boden wiesen darauf hin, wo er einmal gehockt hatte. Doch nun war die Stelle leer.
»Scheiße«, brummte Dante und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
Brocken des weißen Steins, der den gefallenen Engel eingeschlossen hatte, waren auf dem Weg verteilt – jedoch nicht genug, um sicher zu sein, dass er sich von selbst befreit hatte.
»Mist. Wo ist er?« Heather ließ sich auf die Knie nieder und untersuchte die schimmernden Steinstücke.
Dante blickte sich um. Er lauschte nach einem panisch klingenden Gesang, einem fernen und verzweifelten Kratzen, vermochte aber nichts außer die langsame Bewegung der Knochen in den Gräbern sowie dem Flüstern der Zypressen und Eichen in der nach Kirschblüten duftenden Luft zu hören.
Jemand hatte Loki gestohlen, ihn aus dem verriegelten Friedhof gekarrt.
»Hier ist er nicht«, sagte Dante.
Mit einem Stück von Lokis Steinhülle in der Hand sah Heather zu Dante auf. »Plan B?«
Dante richtete den Blick in den wolkenverhangenen Nachthimmel. »Ich werde eine Einladung verschicken«, sagte er.
Sie stand auf. Eine Brise erfasste ihr rotes Haar, wehte es ihr ins Gesicht. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
»Höchstwahrscheinlich nicht. Aber es ist das Einzige, was mir gerade einfällt.«
Heather seufzte. »Ich habe befürchtet, dass du das sagen würdest. Was soll ich tun?«
»Deine Stille durch unsere Verbindung zu mir senden, wenn ich mich in der Musik verliere, catin .«
Sie runzelte die Stirn. »Meine Stille?«
»Das, was du tust, um das Getöse in meinem Kopf aufhören zu lassen«, erklärte er. »Bleib außer Reichweite. Ja? Ganz gleich, was passiert – lass mich dich nicht anfassen, wenn …« Er hob seine Hände.
»Wenn sie blau leuchten«, sagte Heather. »Kein Problem, Baptiste.«
Lucien hatte zwei Wochen zuvor genau an derselben Stelle etwas gesagt, was nun in Dante widerhallte.
Dein Gesang, dein Anhrefncathl , hat mich zu dir gelockt. Wie es auch Loki anlockte. Wie es irgendwann den Rest der Elohim anlocken wird …
Dante nahm einen Brocken des abgesplitterten Steins und spielte damit. Sein Lied begann in seinem Herzen zu erklingen wie ein wilder Herbststurm – eine düstere und gefährliche Arie, die klar und deutlich durch die Nacht von New Orleans hallte.
Energie lief über seine Finger und umschloss den Stein mit blauen Funken. Sie veränderte ihn. Belebte ihn. Er zuckte glühend in Dantes Hand. DNS -Stränge vibrierten wie Gitarrensaiten auf seiner Haut. Er schloss vor Ekstase zitternd die Augen und ließ sich von dem hemmungslosen Rhythmus des Lieds mitreißen.
Du kannst alles und jeden erschaffen. Dein Gesang trägt den chaotischen Rhythmus des Lebens in sich. Du kannst aber auch auflösen, zerstören.
Er hört das Rauschen von Flügeln.
Das Metronom eines Herzschlags. Eines unbekannten Herzens.
»Beende dein Lied«, drängte eine unbekannte Stimme, »ehe dich andere finden.«
Schmerz bohrte sich in Dantes Schläfen, und ihm stockte einen Moment lang der Atem. Sein Gesang brach unvollendet ab – ein Chaos aus harschen Klängen, die in der
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