03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
drang in Luciens Ohr. Mit seinem roten Kilt und dem geflochtenen goldenen Halsreif ging er an Luciens Couch vorbei und trat neben Hekate.
Er stützte sich auf der Brüstung hinter ihm ab und neigte den Kopf, so dass sein taillenlanger karamellbrauner Zopf zur Seite fiel, als er den Kopf neigte, als wolle er Hekate etwas Vertrauliches zuflüstern.
»Der frühere Cydymaith deiner Mutter, das stimmt – aber auch der Mörder unseres letzten Creawdwrs «, sagte er. »Ich glaube nicht, dass du dich auf irgendetwas verlassen kannst, was er behauptet, Täubchen. Samael ist ein notorischer Lügner.«
»Ich nenne mich nicht mehr Samael. Ich bevorzuge Lucien.«
Gabriel lachte. »Glaubst du, es interessiert mich, was du bevorzugst?«
»Sagt ein Lügner zum anderen«, gab Lucien zurück.
Goldenes Licht leuchtete in Gabriels moosgrünen Augen. »Du hältst dich wohl für sehr schlau, was? Aber ich weiß, dass du Lilith losgeschickt hast, um den Creawdwr zu finden, der angeblich nicht existiert.«
Hekate wirkte überaus überrascht. Sie blickte Lucien entgeistert an.
»Niemand schickt Lilith los«, entgegnete Lucien, »und schon gar nicht, um angeblich eine solche Aufgabe zu erledigen.«
Gabriel stieß sich von der Brüstung ab. Er drohte Lucien spielerisch mit einem Finger. »Aha. Aber trotzdem hast du genau das getan, nicht? Hat sie dir versprochen, diesen jungen Erschaffer vor uns zu verstecken? Hat sie geschworen, ihn nicht zu binden? Du bist kein völliger Narr und musst inzwischen begriffen haben, dass alles, was sie versprochen hat, gelogen war. Trotzdem hast du sie losgeschickt.«
Lucien wusste, es war sinnlos, es noch länger abzuleugnen. »Ja.«
Hekates Finger krallten sich in den Stoff ihres Gewandes. »Du hast mich belogen«, sagte sie und sah ihn aus ihren veilchenblauen Augen gekränkt an.
»Nein. Ich habe deine Frage nie beantwortet.«
»Siehst du?«, brummte Gabriel. »Was habe ich dir gesagt, Täubchen?«
»Dann beantworte sie jetzt«, forderte sie, ohne den Blick von Lucien abzuwenden. »Wo ist Lilith? Warum kann ich sie nicht erreichen?«
»Weil«, sagte Gabriel, schlenderte zu dem Tischchen mit dem Obst und nahm einen Granatapfel, »der Creawdwr sie und all die anderen, die wir geschickt haben, um ihn zu begrüßen, in Stein verwandelt hat.«
Lucien setzte sich auf. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Auch Lilith? Er musste an Loki denken, wie er auf dem Friedhof von St. Louis gehockt und Dantes dunkle, singende Blumen in seiner Steinhand gehalten hatte.
»Das kann nicht sein«, erwiderte Hekate, die vor Schreck bleich geworden war.
»O doch, das kann sein und es ist auch so«, antwortete Gabriel, während er den Granatapfel mit einer seiner goldenen Krallen aufschnitt. Kirschroter Saft lief über seinen Finger und seine Hand, ehe er auf den Marmorboden tropfte. »Was das Wie betrifft: Dafür war der Creawdwr verantwortlich.«
»Aber … warum?«
»Er ist weder gefesselt noch ausgebildet, Täubchen, und sein Verstand lässt ihn im Stich.«
Dantes leise, angespannte Worte schossen Lucien durch den Kopf: »Falls sie mich finden, werden sie mich garantiert nicht fesseln. Dafür müssen sie mich erst töten.«
Lucien ballte die Fäuste. Sein Kind war starrköpfig genug, um diese Drohung in die Tat umzusetzen. Er atmete leise tief durch und öffnete die Finger wieder. Hoffentlich hatte Gabriel nichts von dieser Anwandlung bemerkt.
Doch Gabriels Zwinkern machte seine Hoffnung zunichte. »Samael hat diesen jungen Erschaffer von den Aingeal ferngehalten, die ihn geführt und ihm etwas beigebracht hätten. Er hat ihn auch von den Elohim ferngehalten, die ihn gefesselt und seinen Verstand beschirmt hätten, und ihn Gehenna und allen, die ihn lieben, entzogen.«
Hekate sah Lucien fragend an. »Warum hast du das getan?«
»Ich weiß nichts von einem Creawdwr «, antwortete er, sah ihr in die Augen und hielt ihrem Blick stand. »Den letzten Erschaffer habe ich umgebracht. Warum sollte ich das nicht auch mit diesem tun? Der Morgenstern treibt Spielchen mit Gabriel – sonst nichts.«
»Ja, und mit mir«, murmelte Hekate, deren melodische Stimme nun bitter und finster klang. Sie drehte sich um, so dass sich ihr Gewand wie Wasser wellte, und hielt sich an der Brüstung fest. »Mir hat er erklärt, dass es meiner Mutter gutgehen würde.«
»Ach, Täubchen«, murmelte Gabriel. »Nicht dein Vater treibt hier seine Spielchen. Samael hat gerade zugegeben, dass er deine Mutter losgeschickt hat,
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