03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
um den Erschaffer zu finden, und nun behauptet er, nichts von einem Erschaffer zu wissen.«
Hekate schwieg. Sie starrte in die Nacht jenseits der Terrasse.
Gabriel setzte sich auf eine Bank mit lila Kissen, die neben dem Tischchen stand. »Du solltest wissen, dass der Morgenstern dem Creawdwr in diesem Moment folgt, Samael. Er beobachtet ihn, um herauszufinden, wie er ihn am besten unter seine Fittiche nehmen kann.«
»Das behauptet er«, antwortete Lucien und bemühte sich dabei, so gelangweilt wie möglich zu klingen.
»Stimmt. Aber der Morgenstern hat mir interessante Fakten über diesen jugendlichen Creawdwr genannt. Zum Beispiel, dass er sowohl Fola Fior als auch Elohim ist.« Gabriel warf Lucien unter seinen hellbraunen Wimpern einen bissigen Blick zu. »Er ist verletzt, von deiner Hand – vielleicht aufgrund einer durchtrennten Verbindung. Das lässt sich nicht leicht sagen, aber interessant erscheint es mir doch.«
»Klingt eher so, als hätte sich der Morgenstern bemüht, dir eine umständliche Lügengeschichte aufzutischen, um dich damit zu unterhalten«, antwortete Lucien. » Fola Fior und Elohim? Als Erschaffer?« Er schnaubte verächtlich.
»Du hast unten in Sheol das Bewusstsein verloren, als der Creawdwr letzte Nacht seine Gegenwart bekanntgab«, sagte Gabriel. »Du hast sogar aus der Nase geblutet.«
»Weil ich meine Verbindung zu Lilith durchtrennt habe. Ich bin außerdem aufgrund eines gewissen Zaubers nicht ganz auf der Höhe, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.« Lucien hielt inne und tat, als sei ihm gerade erst ein Gedanke gekommen. Er sah Gabriel an, der ihn belustigt beobachtete. »Willst du damit eigentlich andeuten, ich sei der Vater des Creawdwrs ?«
»Wenn man an das gemischte Blut des Erschaffers denkt …« Gabriel hob beide Hände und zuckte die Achseln.
Lachend schüttelte Lucien den Kopf. »Der Morgenstern füttert dich mit ausgesprochen amüsanten Geschichten. Wer ist jetzt der Narr?«
Die Belustigung verschwand aus Gabriels Antlitz. Kaltes Licht funkelte in seinen moosgrünen Augen. »Ich kann dich jederzeit in Sheol baumeln lassen, bis du vergangen bist.«
Lucien erhob sich. »Ich glaube, das würde ich dieser öden Diskussion vorziehen. Warum hast du mich überhaupt in den Palast bringen lassen, Warmhalter? Brauchst du Anweisungen, wie man in Gehenna herrscht?«
»Ich habe dich herbringen lassen, damit du dem Morgenstern und mir zusehen kannst, wenn wir den Schöpfer fesseln«, erwiderte Gabriel mit einem verschlagenen Lächeln auf den granatapfelroten Lippen, »und seine Calon-Cyfaills werden. Mit ihm verbunden in Herz und Geist. Wir werden es sein, denen er in der Nacht etwas zuflüstert, denen er alles anvertraut und auf die er hören wird, und wir werden ihm beibringen, was es bedeutet, ein Creawdwr zu sein, Samael. Wir werden gute Lehrer sein.«
»Na und? Warum sollte mich das interessieren?«, antwortete Lucien und war zufrieden darüber, wie gelassen er dabei klang.
»Wenn das, was du gesagt hast, der Wahrheit entspricht, wird es dich wohl wirklich herzlich wenig interessieren.« Gabriel warf die Granatapfelschale mit einer lässigen Handbewegung über die Brüstung. Er erhob sich und sah in Luciens kalte Augen. »Falls es aber nicht der Wahrheit entspricht …«
»Wird der Creawdwr die, die er in Stein verwandelt hat, wieder zurückbringen, sie wieder zu Fleisch und Blut machen?«, wollte Hekate wissen.
»Es wird alles gut, Täubchen, sobald der Erschaffer erst einmal gefesselt ist«, murmelte Gabriel, in dessen Augen es erneut golden funkelte. »Bis dahin möchte ich dich bitten, dich weiter um Samael zu kümmern. Sorge dafür, dass er am Leben bleibt.«
»Wenn es sein muss«, antwortete Hekate.
Gabriel trat zur Brüstung, küsste die Locken auf ihrem Kopf, wandte sich dann ab und entfaltete seine goldenen Flügel. Ohne ein weiteres Wort stürzte er sich in die Nacht, und seine Flügel trugen ihn durch die nach Jasmin und Myrrhe duftende Luft davon.
Hekate sah ihm nach, bis er außer Sichtweite war. Dann wandte sie sich um. Sie betrachtete Lucien lange. Ihre Miene wirkte ruhig, ihr Blick nachdenklich.
»Brauchst du Hilfe, um dich zu setzen?«, fragte sie eisig.
»Wohl kaum.«
Lucien hatte seine letzte Kraft aufgebracht, um aufzustehen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und sein Herz schlug dreimal so schnell wie sonst. Mit zitternden Beinen schaffte er es dennoch, sich vergleichsweise anmutig wieder auf dem Diwan niederzulassen.
»Noch Tee?«,
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