03 - Schatten Krieger
Angesicht zu Angesicht mit der Schlummernden Gottheit gesprochen hatten. Pericogal war bereits alt gewesen, als der Fall der Schattenkönige die Dämonenbrut ins Exil verbannt hatte. Seitdem hatte er Unwetter und Schlachten an Hunderten von Küsten zwischen dieser und der anderen Seite der Welt überstanden und dabei feststellen müssen, dass der einzige Feind, den er nicht besiegen konnte, sein Alter war. Deshalb residierte er mittlerweile in seiner abgeschiedenen Kajüte im Innersten der
Sturmklaue,
abgeschirmt durch verschlossene Türen und bewacht von seiner eigenen Garde. Qothan hatte den Kapitän in den letzten zehn Jahren höchstens dreimal gesehen, und in den letzten zweien gar nicht. Dennoch leitete seine Präsenz das Schiff, als wäre ein Teil seines wachsamen Verstandes immer anwesend, trotz der Träume, denen er sich in seinen langen Meditationen hingab.
»Dann soll es so sein«, erwiderte Qothan. »Dennoch könntet Ihr vielleicht in Betracht ziehen, bis zum letzten Moment zu warten, bevor Ihr Coireg und uns an Land setzt? Wir sollten so viel wie möglich über diese Flotte der Untoten in Erfahrung bringen, und wenn wir uns erst vor diesem neuen Schattenkönig verbergen, können wir die Lange Stimme nicht einsetzen, um mit Euch zu sprechen, nachdem Ihr wieder ausgelaufen seid. Außerdem können wir vielleicht auf den guten Willen des Majordomo hoffen. Möglicherweise gewährt er ja den Wächtern sicheres Geleit im Austausch für unsere Hilfe im bevorstehenden Kampf.«
»Für diesen Plan spricht vieles. Gut, ich werde Eure Vorschläge mit den anderen besprechen«, erklärte Agasklin. »Vielleicht können wir unsere Brüder an Bord der
Seezahn
überreden, mehr über diese bedrohliche Flotte der Untoten in Erfahrung zu bringen.«
»Ich bin dankbar für Euren weisen Kurs«, erwiderte Qothan förmlich.
»Nun zieht Euch in Eure Quartiere zurück und bereitet Euch auf Eure nächste Aufgabe vor.« Agasklin stand auf. »Wer Eure Gefährten sind, wird in Kürze entschieden. Ihr werdet sofort danach benachrichtigt.« Er legte die Hände aneinander, was das Ende dieses Treffens signalisierte. Qothan verbeugte sich steif und gemessen und verließ das Orakel. Er fragte sich, wer seine Begleiter sein würden, und vor allem, ob dies vielleicht sein letzter Tag an Bord der
Sturmklaue
sein würde.
Die
Mollige Muschel
war ein zehn Meter langer Flusskahn mit einem Mast, der zu seiner besten Zeit offenbar viele Gemüseladungen transportiert hatte, denn ihm hing unauslöschlich der Geruch von Kohl an. Als Tashil Sounek darauf ansprach, erwiderte er, dass der Kapitän wohl auch schon zu oft in seinen Bierhumpen geschaut hätte. Tatsächlich, Kapitän Jodec war ein Flussmann mit einem gewaltigen Schmerbauch, einer rot geäderten Nase und wässrigen Augen. Essensreste klebten in seinem Bart, und getrocknete Fettflecken übersäten sein Wams, doch seine Hand wirkte ruhig, als er die Abmachung mit Calabos besiegelte und das Geld entgegennahm.
Einen Tag nach Dybels Rettung und drei seit ihrer Flucht aus Sejeend kehrten die Wächter in die Hauptstadt zurück, um sich einem ungewissen Schicksal zu stellen.
Die Deckaufbauten der
Molligen Muschel
bestanden aus kaum mehr als einem hölzernen Unterstand mit einem festen Segeltuch über dem hinteren Teil und einem Vordach. Darunter saßen die Wächter auf zwei Bänken aufgereiht an einem schmalen, auf den Deckplanken festgeschraubten Tisch. Tashil hörte abgelenkt zu, wie Calabos Dardan und Sounek seine Pläne erklärte. Die beiden schienen nicht sonderlich überzeugt zu sein. Wenigstens Inryk war allerdings bereit, sich die Ausführungen zunächst einmal zu Ende anzuhören. Tashil dagegen war klar, dass sie dringend etwas unternehmen mussten, und sei es auch nur, um mehr Informationen zu bekommen.
Allerdings konzentrierte sie sich im Moment hauptsächlich auf Dybel, der Enklar, Rog und Gillat mit amüsanten Geschichten unterhielt. Ihr Bruder Atemor saß mit bemüht gleichgültiger Miene neben ihnen. Tashil kannte ihren Bruder gut und wusste genau, wann ihn etwas interessierte. Gerade schilderte Dybel, wie einst der junge Kaiser Tauric ebenfalls in einem Flusskahn nach Oumetra geschmuggelt worden war.
Tashil lächelte.
Genau das könnten wir jetzt auch gut gebrauchen. Einen verloren geglaubten Thronfolger, der die Menschen eint und über verheerende Mächte gebieten kann. Bedauerlicherweise scheinen solche Prinzen in unserer Epoche recht dünn gesät zu sein …
Doch ihre
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