03 - Schatten Krieger
rannte. Einige schwenkten ab und liefen zu den Seetoren. Mit einem kurzen Blick schätzte sie die Geschwindigkeit der
Molligen Muschel
im Vergleich zu den rennenden Soldaten ab. Das Schiff würde es nicht schaffen.
Tashil wirbelte herum und stürmte durch den Unterstand an Atemor und Enklar vorbei, die ihr überrascht nachsahen, sprang die Stufen zur Brücke hoch und erreichte Jodec, als der gerade eine Lederflasche entkorken wollte.
»Das muss noch etwas warten, Kapitän!«, erklärte sie und schilderte ihm, was sie gesehen hatte. Auf Jodecs Miene wechselten sich Ärger, Verwirrung und Panik in rascher Folge ab.
»Das haben wir nicht vereinbart«, meinte er. »Ärger mit den Flusswächtern kann mein Ende sein! Ich sollte Anker werfen und warten, bis sie Euch holen …« »Kommt schon, Jodec«, erwiderte sie. »Ihr steckt bereits bis zum Hals mit drin, also solltet ihr lieber noch den letzten Fetzen Segeltuch setzen und beten, dass wir nicht erwischt werden. Wenn sie uns gefangen nehmen, werden wir ihnen sagen, dass Ihr schon seit Jahren zu uns gehört …«
»Die Mutter verdamme Euch!«, spie er aus.
»Erspart mir Eure Hysterie«, gab sie unbeeindruckt zurück. »Schafft uns durch die Tore, bevor sie geschlossen werden.«
Sie ließ den fluchenden Jodec zurück und hastete zum Unterstand, wo Inryk gerade Dybel, Enklar, Rog und Gillat die neue Lage erklärte. Die beiden Gardisten legten ihre Rüstungen an und setzten ihre Helme auf, als die erste Pfeilsalve vom Südufer das Boot traf und eine lautstarke Fluchkanonade beim Kapitän auslöste. Nachdem sich alle unter den holzverkleideten Teil der Deckaufbauten zurückgezogen hatten, lenkte Dybel Tashils Aufmerksamkeit wieder auf den Hojamar-Fried, den er durch ein kleines, mit Latten verkleidetes Bullauge beobachtete. Als sie hinschaute bemerkte sie, dass man das Königliche Banner durch verschiedene kleine, bunte Wimpel ersetzt hatte. Sie stöhnte und stürmte zum Bug, um zu sehen, was in der Mündung des Vaale passierte. Ihre Befürchtungen bestätigten sich: Die Tore wurden langsam geschlossen.
Tashil sank der Mut. Zwei Pfeile landeten klappernd auf dem Deck in ihrer Nähe, ein dritter grub sich in die Planken zwei Zentimeter von ihrem Fuß entfernt und blieb dort vibrierend stecken. Rasch ging sie wieder in Deckung und verrenkte sich fast den Hals, als sie in die Richtung schaute, aus der sie gekommen waren. Doch in dem Moment legten gerade drei Schiffe der Flusswächter von einem Landungssteg hundert Meter flussaufwärts ab.
Sie sind näher an den Toren, dachte sie, und außerdem schließen sie sich rasch. Wir müssen umkehren, eine andere Wahl haben wir nicht.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Es war Dybel.
»Weiter«, sagte er und deutete auf Inryk, der einen kurzen Speer in der Hand balancierte und sich vollkommen konzentrierte. Tashil schaute ihn einen Moment verständnislos an. »Der Gedankengesang Wurf?«, fragte sie dann.
Dybel lächelte. Sie nickte und hastete zur Brücke, wo der Kapitän auf dem Boden kauerte und sie alle verfluchte. »Wir müssen halsen!«, jammerte Jodec. »Wir können doch nicht…«
»Haltet Kurs!«, drohte sie dem furchtsamen, jungen Steuermann, der die Ruderpinne umklammerte. Er sah sie einen Moment an und nickte schließlich.
»Gut.« Sie drehte sich wieder um und sah, wie Inryk aus dem Schutz des Unterstands trat, sich mittschiffs aufbaute, mit dem Speer ausholte und ihn auf das befestigte Kettenhaus schleuderte, das auf der rechten Seite der Seetore stand. Tashil verfolgte den Flug des Speeres. Er beschrieb eine unbeirrte, flache Bahn durch die Luft. Die Ketten, welche die schweren Torflügel schlössen, wurden von einer Reihe von gewaltigen Zahnrädern bewegt, die durch Fallgewichte angetrieben wurden. Sie befanden sich in zwei viereckigen Türmen zu beiden Seiten der Tore. Die einzige verwundbare Stelle des ganzes Mechanismus war die, an welcher die große Kette zwischen den beiden schweren Zahnrädern hindurchlief. Sie beobachtete den Speer im grauen Licht des Sonnenuntergangs, bis er im Schatten der Hafenbefestigungen verschwand.
Tashil glaubte, einige Gestalten zu erkennen, die über die Signalbrücken in der Nähe der Zahnradschuppen liefen. Eine Weile passierte nichts, während der Kahn sich langsam den Torflügeln näherte, die sich immer weiter schlössen. Plötzlich hallte ein lautes Knacken durch den ganzen Hafen. Zunächst hatte Tashil keine Erklärung dafür, dann sah sie, dass
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