03 - Schatten Krieger
verschwunden. Calabos' Puls raste, während er einen Moment auf die verlassene Stelle starrte. Dann blickte er hoch und sah Wachen aus dem Fried in seine Richtung laufen. Er bog hastig um die Ecke, lief die Seitenstraße hinunter, betrat eine dunkle Gasse und suchte sich einen verschlungenen Weg zurück zum Hafen.
Die Dunkelheit in seinem Verstand war so vollkommen, dass sie keine Grenzen zu haben schien. Gleichzeitig ließ sie keinen Raum für Gedanken. Corlek Ondene konnte in der erstickenden, grenzenlosen Grube, in welche der Schattenkönig ihn gestürzt hatte, nur fühlen, nicht denken. Von Zeit zu Zeit spürte er, dass etwas passierte, aber die einzigen Zeichen dafür waren weit entferntes Geschrei voll Triumph oder Wut und das schwache Flüstern zahlreicher Stimmen, die kamen und gingen, wie unruhige Böen, die über eine Wüste wehen. Er hatte wiederholt Ärger und Hass durchlebt, war in Selbstmitleid und zitternde Furcht verfallen, wenn auch die Angst allmählich weniger Macht über ihn zu haben schien.
Bis die Veränderung einsetzte. Erst hörte er gewaltiges Gebrüll, wie von gigantischen Bestien, die sich von den Gipfeln riesiger Gebirgsketten aus bekämpften. Sie verstummten, begannen jedoch bald aufs Neue. Es war ein anhaltendes, weit entferntes Brüllen, das voller Freude und Energie anschwoll und plötzlich in ein wütendes Heulen umschlug. Ondene bekam Angst und glaubte, eine Erschütterung seines dunklen Kerkers zu fühlen. Und trotz dieses Pandämoniums hörte er die vielen flüsternden Stimmen. Unvermittelt überkam ihn ein überraschendes Gefühl, die Empfindung, dass er fiel, dann flog, sich erhob … Die Dunkelheit gewann plötzlich an Essenz und Stofflichkeit …
Ein Wirbel aus Geräuschen …
Hitze und Kälte …
Sein unbeholfener Körper…
Einen Moment schien es, als würde die große, schattige Düsternis zerbrechen. Aber sie blieb intakt, als sie hinter dem Horizont von Ondenes ausufernder Wahrnehmung versank.
Aus der Dunkelheit erhob sich das Licht des Abends, und die Kälte des Bodens, auf dem er lag, und die über ihn gebeugten Umrisse von Gestalten, die ihn umringten. Er genoss die eisige Luft in seinen Lungen, die Feuchtigkeit, die seine Kleidung durchdrang, und die Schreie der Händler und Budenbesitzer auf der Straße. Als er sich bemühte, sich aufzurichten, packten ihn hilfreiche Hände an Schultern und Armen und stützten ihn. Er hustete, weil er ein Kratzen im Hals verspürte, sah sich nach seinen Helfern um, erkannte Qothan und andere seinesgleichen und lachte. Qothan hielt eine offene irdene Phiole in seiner freien Hand, schaute kurz zu seinen Gefährten hoch und lächelte schwach.
»Geht es Euch gut, Herr Ondene?«, fragte er.
»Mir ging es niemals besser, Qothan, mein Freund!« Er betrachtete die anderen und seine Umgebung genauer, bis ihm dämmerte, wo er sich befand. Er grinste. »Wollt Ihr mir etwa sagen, dass wir zum Hafen hinunter müssen, und das schleunigst und ohne Verzögerung?«
Qothan stand auf und zog ihn hoch.
»Eine sehr genaue Einschätzung, Hauptmann.«
»Gut, das bietet uns genug Gelegenheit, uns gegenseitig Geschichten zu erzählen, was?«
»Vielleicht später«, sagte der große Mann. »Doch zunächst solltet Ihr begreifen, wie Ihr mit dem Parasiten umgehen müsst, den Ihr in Eurem Kopf beherbergt.« Ondenes Lächeln erlosch. »Das Ding … ist noch da?«
Qothan nickte. »Es wird lediglich von einem Elixier gebändigt, das ich Euch einflößen konnte. Aber kommt, für Einzelheiten haben wir unterwegs noch genug Zeit.«
Ondene beschlich eine eisige Furcht, als sie sich auf den Weg machten. Außerdem taten ihm alle Knochen und jede Faser seines Körpers weh. Er rieb sich den Nacken. »Wir kehren zu Eurem Schiff zurück, ja?« »Ja. Mein Kapitän möchte unbedingt mit Euch sprechen. Ebenso wie Beitran Calabos.«
Irgendwie klingt das bedrohlich, dachte Ondene, während er Qothan gehorsam folgte. Erwarten mich dort möglicherweise noch größere Risiken und Gefahren?
16
Wir segeln durch die eisige Dunkelheit,
Zu einem Strand voll Tod und Blut,
Wo Traumarmeen in kaltem Eisen
Kämpfen, fallen und sich erneut zum Krieg Erheben.
ESHEN KAREDU: STURMFAHRT, 5. KAPITEL
Glatt und unaufhaltsam dehnte sich der graue Schleier in einem Oval in der Halle aus. Von seinem Platz nahe des Mittelpunktes aus beobachtete Jumil zufrieden, wie die Fäulnis den Sockel eines Pfeilers wegfraß, welcher auf den Schattenkeim stürzte. Der Pfeiler zerbrach in mehrere
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