03 - Schatten Krieger
Schiffen zu allen Küsten gesegelt, habe alle Städte gesehen und bin hier und dort aufgetaucht und wieder verschwunden, und dennoch spüre ich dein Mal auf meinem Geist, eine Narbe, die so dauerhaft und tief ist, dass sie sofort in anderen selbst das schwächste Teil von dir erkennt…
Erneut drangen die Gesichter aus seinen Träumen auf ihn ein. Sie starrten ihn mit gnadenlosen Blicken an und formten mit ihren aufgerissenen Mündern lautlos die Buchstaben des einen Namens, unaufhörlich … Byrnak, Byrnak, Byrnak, Byrnak …
Calabos schloss gequält die Augen und knirschte mit den Zähnen.
Nein! Dieser Name gehörte einem anderen, einem, der Marionette und Maske war, einem, der den Tod seines Gottes nicht überlebte…
Er öffnete die Augen und starrte in sein Spiegelbild. Unverhüllte, grimmige Entschlossenheit funkelte zurück. Wer weiß schon, wann mich die Unsterblichkeit berührte?, dachte er. Vielleicht war es die Konsequenz, als Wirt eines Gottes zu dienen, oder mein Eintauchen in den Brunn-Quell, möglicherweise auch beides. Ich habe jedenfalls schon dreihundert Jahre gelebt, ein Dutzend Gesichter und Namen getragen, und jedes schenkte mir mehr Selbsterkenntnis und innere Stärke als das vorige … Nein, Byrnak ist tot, und Calabos lebt! Eine Seitentür in der Halle schwang auf. Osig, der Stallknecht, trat herein, und mit ihm drangen ein Hauch kalter Luft und die Morgensonne in die Halle. »Gebieter, Euer Pferd ist bereit.«
Calabos nickte, hinterließ Gillat eine kurze Mitteilung für Tashil und folgte Osig in den Stallhof. Es war kalt, und eine Windbö schüttelte die Blüten von dem alten Apfelbaum in der Ecke des Hofes. Calabos schwang sich in den Sattel und keuchte dabei angestrengt, ein Täuschungsmanöver für seinen Stallknecht, während der das schwere Hoftor für ihn öffnete.
Nachdem es hinter ihm wieder verschlossen und verriegelt war, trabte Calabos über die schmale Straße, die in östlicher Richtung an Stadthäusern und Webereien vorbeiführte, bevor sie nach Norden abbog. Eine Weile später erreichte er ein riesiges, eisernes Portal, das in einen trutzigen, massiven Teil der Stadtmauer eingelassen war und die alte Grenze Sejeends markierte. Es gab noch andere solcher Tore rund um die Stadt herum. Einige davon waren bewacht, andere, wie dieses, unbeaufsichtigt und geöffnet. An der Straße dahinter lagen weitere Häuser und Gebäude. Calabos lächelte, als er daran vorbeiritt und sich an die Zeit erinnerte, als die Tore noch eine echte Barriere gegen die Außenwelt gewesen waren. Sejeend war viel kleiner gewesen, damals, als Kaiser Tauric III. die melancholische, halb verlassene Insel Besh-Darok aufgegeben und seinen Hof und die Hauptstadt von Khatris hierher verlegt hatte. Calabos runzelte die Stirn, als er in seiner Erinnerung nach dem Namen suchte, den er damals angenommen hatte … Malban, richtig. Malban, gebildeter und lakonischer Schwertmeister, Lehrer für die Kinder des Adels und reicher Kaufleute.
Er erinnerte sich an den Anblick der Flotte Taurics des III., auf der sein Hofstaat in Sejeends größerem Außenhafen eingelaufen war. Es war ein klarer Sommernachmittag gewesen, die Steine der Stadt strahlten die Hitze des Tages ab, und die untergehende Sonne tauchte den Himmel in helles Rot, das von grellen, orangefarbenen Strahlen durchzogen war. Mit unzähligen Fahnen geschmückt, hatte die Trireme des Kaisers den stattlichen Konvoi vornehmer Schiffe und langsamer Lastgaleeren angeführt, die schwer mit sämtlichen Reichtümern und Gütern des Palastes in Besh-Darok beladen waren. Calabos hatte die Flottenparade vom Balkon einer Schänke auf der Klippe verfolgt, dem
Seiltänzer,
von der man früher einmal einen großartigen Blick über die Flussmündung und die Umgebung gehabt hatte. Von dort oben aus ähnelte die Flotte des Hofes mit ihrem Geleitschutz aus Kriegschiffen gewaltigen Insignien, die sich Sejeend näherten.
Calabos lachte leise, während er weiterritt. Der
Seiltänzer
hatte diesen historischen Moment nicht lange überdauert. Er war kurz danach abgerissen worden, um Platz für die Gärten und Kreuzgänge des neuen Palastes zu schaffen, der damals erst halb fertig war.
Ich wünschte mir fast, ich hätte diese Schänke gekauft, dachte Calabos jetzt. Dann hätte ich sie abtragen und weiter oben auf den Klippen neu aufbauen können. Vielleicht baue ich sie ja nach, wenn sich erst einmal eine dicke Schicht von Jahren auf diesem Jahr abgelagert hat…
Die Ortschaft
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