03 - Schatten Krieger
Jagd durch die Nacht gemacht, die ihn schließlich in diesen verlassenen, verwahrlosten Park führte, von dem aus er den Hafen sehen konnte.
Jetzt entspannte Coireg sich, genoss den Frieden unter den Bäumen und Büschen, lauschte dem leisen Rascheln der kleinen Lebewesen im Blattwerk über seinem Kopf und in den von Unkraut überwucherten Blumenbeeten ein paar Schritte entfernt. Dennoch verharrte sein Bewusstsein in unterschwelliger Anspannung, die von der Bürde der Vergangenheit herrührte, der Erwartung des Sturzes in die Leere.
»Ich warte auf das Vergessen«, flüsterte er in die Dunkelheit.
»Das mag irgendwann kommen«, antwortete eine tiefe Stimme zwischen den von Kletterpflanzen überwucherten Bäumen. »Die Dosis, die er verschlungen hat, sollte ihn für einige Stunden in Eurem Verstand schlummern lassen. Wenn er jedoch daraus erwacht, dürfte er schwerlich dieselbe Mischung von Zutaten noch einmal schlucken.«
Coireg fühlte sich zugleich beunruhigt und resigniert.
»Woher wisst Ihr … Wie könnt Ihr meine Qualen kennen? Wer seid Ihr?«
»Mein Volk ist mit gewissen, ungewöhnlichen Gaben ausgestattet. So können unsere Blicke die Hülle des Lebens durchdringen und entblößen daher etwas von dem wahren Sein, das darunter liegt.« Die Schatten unter den Bäumen bildeten nur vage Umrisse, die keinerlei Hinweise auf die Identität des Sprechers verrieten.
»Und was liegt unter meiner Haut?«, fragte Coireg hoffnungslos.
»Ein Verstand, der geteilt ist«, kam die Antwort. »Und in dessen Rissen und Spalten die Glut einer uralten Macht haust. Euer Äußeres gleicht dem eines Mannes in seinem fünften Lebensjahrzehnt, ich jedoch erkenne, dass Ihr viel, viel älter seid …«
Coireg geriet in Panik und sprang auf.
»Was? Das ist … lächerlich!«, rief er. »Närrisches Geschwätz !«
»Ihr habt keinen Grund zur Sorge«, erwiderte die Stimme. »Außer uns beiden befindet sich niemand in diesem Gehölz, und wenn Ihr gehen wollt, werde ich Euch nicht daran hindern. Falls Ihr es allerdings tut, seid versichert, dass Euer dunkleres Ebenbild erwachen und Euch erneut in den Abgrund des Vergessens stürzen wird. Begleitet Ihr mich dagegen zu meinem Schiff, kann unser Heilkundiger einen Trank zubreiten, der Euer anderes Selbst für immer daran hindert, aus den Tiefen Eures Verstandes aufzutauchen.«
Unsicherheit und Furcht schlugen jäh in Hoffnung um, die Coireg beinahe übermannte. Er wusste jedoch nicht, ob er dem Sprecher trauen konnte und was von dessen Angebot zu halten war.
»Woher soll ich wissen, ob ich Euch glauben kann?«, wollte er wissen. »Warum zeigt Ihr Euch nicht?« Statt einer Antwort hörte er das Rascheln von Blättern und das Knacken von Zweigen. Im nächsten Moment tauchte eine große Gestalt aus dem Schatten auf. Mittlerweile erhellte der erste Silberstreif des Morgengrauens den Horizont, und Coireg konnte ein langes, hageres Gesicht unter einer ungepflegten Haarmähne erkennen. Der Mann trug einen langen, dunklen Umhang, und seine leeren Hände hingen locker an seiner Seite herunter. »Wie heißt Ihr?«, fragte Coireg.
»Nennt mich Qothan. Und Ihr?«
»Coireg. Coireg Mazaret!«, erwiderte er trotzig.
»Das erklärt eine Menge«, erwiderte der Mann.
Coireg starrte ihn an. »Wird Euer Arzneihändler mir einen Trank geben, der dieses Monster in meinem Kopf für immer zum Schweigen bringt?«
»Ich habe in der Vergangenheit miterlebt, wie er solche Mittel gebraut und angewendet hat, ja.« »Dann begleite ich Euch zu Eurem Schiff.«
Noch während er das sagte, überkam Coireg das Gefühl, dass dieser Moment vorherbestimmt war. Zwar quälten ihn nach wie vor Furcht und Unsicherheit, und er verspürte Gewissensbisse, weil er nicht zuerst Calabos aufgesucht hatte, aber dieser Weg hatte auf ihn gewartet. Qothan bedeute ihm mit einer Handbewegung, ihm zu folgen, und Coireg ging hastig über die grasbewachsene Lichtung zu einem Pfad, der zu einem Tor in den Hecken führte, welche den Park umringten, und von dort auf eine gepflasterte Straße zum Hafen, wo ein Wald aus Masten und Sparren in der Dünung schwankte. »Ihr sagtet, Euer Volk würde ungewöhnliche Talente besitzen«, meinte Coireg. »Zu welchem Stamm oder Clan gehört Ihr denn?«
Qothan ging einen Moment schweigend weiter. »Auf unseren Reisen entlang dieser und anderer Küsten haben wir verschiedene Namen angenommen und viele verliehen bekommen. Neue Loyalitäten brachten neue Namen, was nur recht ist, da die Zeit und die
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