03 - Schatten Krieger
wahr, redete jedoch unbeeindruckt weiter.
»Seine Schriften sind klar und enthalten eine Fülle von Anleitungen. Fünf metallene Objekte müssen aus den Wracks von Hanavoks Flotte geborgen werden. Sobald wir sie mit den Glyphen beschriftet haben, werden sie uns ausgezeichnete Dienste leisten …«
Er hielt inne, als er plötzlich etwas in der Nähe spürte. Er klappte das Buch zu und stand auf. »Wir sind dicht dran«, erklärte er. »Sehr dicht. Ausguck! Was kannst du sehen?«
»Auf Backbord und achtern nichts in Sicht, Käpt'n«, antwortete eine Stimme vom Heckmast. »Ich sehe eine Küste, Steuerbord voraus!«, rief ein anderer Ausguck.
»Endlich, die Sichelbucht!«, meinte Bureng. »Glocke, Schlag verdoppeln!«
Die Glockentöne hallten durch den Nebel. Das war das verabredete Zeichen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Der Wind wurde stärker und riss die Nebelwand auf, aber Bureng brauchte weder freie Sicht noch Sonne. Er wusste genau, wo Hanavoks Wracks auf dem Meeresboden faulten. Das Zusammenspiel zwischen seinen geschärften Sinnen und seiner Bestimmung leitete ihn, als säßen zusätzliche Augen in seinem Schädel, die Dinge sahen, die den anderen verborgen blieben. Er wusste, wo die Wracks lagen. Mit dem Buch Crevalcors unter dem Arm baute er sich neben seinen Rudergängern auf, befahl Kurswechsel, ließ die Segel reffen und manövrierte die
Muräne
über eine Stelle, die kaum eine Viertelmeile vom Ostufer der Bucht entfernt lag.
»Wir ankern!«, rief er. »Rasch! Wir wollen nicht auf die Felsen auflaufen, wie es Hanavok passiert ist.« Während auf dem Hauptdeck plötzlich geschäftiges Treiben ausbrach, blieb Bureng stocksteif stehen und schien auf das hügelige Land hinter dem Strand der Bucht zu starren. In Wirklichkeit richtete er seine Sinne jedoch in die Tiefe unter seinem Schiff, und nach einigen Klaftern nahm er regungslos daliegende schattige Rümpfe zwischen spitzen Felsen wahr, um die gemächlich Gabelflossenhaie kreisten.
Das ist der Ort, dachte er. Der Friedhof von zahllosen Schiffen, ein kaltes, trostloses Gefängnis. Das ich schon bald zwingen werde, seine Geister freizugeben.
Er rief seine Leutnants zu sich und gab ihnen Befehle. Zum Schluss nahm er sich den Mann vor, der die Tauchmannschaften beaufsichtigte.
»Ich will vor allem Dinge, die aus Gold oder Silber sind, Arik«, erklärte Bureng. »Danach Eisen, Bronze oder Kupfer. In etwa vier Glasen rufe ich die Boote zurück. Deine Männer sollen sich sputen!«
»Aye, das werden sie«, erwiderte Arik, ein stämmiger, kahlköpfiger Mann, den der Rest der Mannschaft nur unter seinem Spitznamen
der Bulle
kannte.
»Und Münzen«, fuhr Bureng fort. »Ich brauche viele kleine Wertgegenstände, Perlen oder Edelsteine, so viele, wie du finden kannst.«
Als der Bulle sich zu seinen Tauchern gesellte, die bereits über die Reling kletterten, sah Bureng den Verfluchten Rikken, der immer noch an dem Feuerkorb stand, wo er den Wein erhitzte.
»Rikken.« Er winkte den Mann zu sich. »Wir bekommen bald Gäste. Also geh in die Kombüse und schaff ein Fass Bier, einen Krug Goldwasser und ein halbes Dutzend Becher heran.«
»Aye, Käpt'n.« Rikken eilte hastig unter Deck.
Wie leicht er zu erfreuen ist und wie rasch einzuschüchtern, dachte Bureng. Man kann sich keinen besseren Diener wünschen.
Als die Beiboote mit den Tauchern von der
Muräne
wegruderten, tauchten langsam die grauen Umrisse der anderen Piratenschiffe aus dem Nebel auf. Sie folgten dem Läuten der Schiffsglocke, und ihre geisterhafte Erscheinung löste sich auf, als der Wind den Nebel vertrieb. Bureng marschierte über das Ruderdeck, den Kodex des Crevalcor immer noch unter dem Arm, während er regelmäßig zu den Beibooten hinübersah, die jetzt an ihren Ankerketten dümpelten. Dabei spürte er die ganze Zeit, wie die vier anderen Kapitäne die Taucher von ihren Schiffen aus beobachteten. Sie warteten darauf, dass er das Versammlungsbanner hisste, um sie an Bord zu bitten.
Seine geschärfte Wahrnehmung verriet ihm, dass Raleth eine Münze in die Luft warf. Zanuur schrieb Tagebuch, und Logrum schleuderte Dolche in ein hölzernes Schott. Flane dagegen schaute einfach nur über das Meer. Die Sonne war bereits hinter orangefarbenen Wolken verschwunden, als einer von Burengs Männern die verabredete Zeit glaste. Bureng schloss das Buch und nickte.
»Hisst die rote Flagge«, befahl er, »und holt sie rein!«
Als die Taucher das Signal sahen, stellten sie ihre Tauchgänge ein.
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