03 - Schatten Krieger
Verbund standen, musste man sie als Gefahr einstufen. Calabos nahm sie gelegentlich wahr, wenn er über sie hinwegflog, spürte, dass sie ihn bemerkten, und empfing ihre dumpfe Aufmerksamkeit, die allerdings nur sehr flüchtig war. Schließlich näherte er sich den Außenbezirken von Sejeend, dessen Gebäude sich wie Mauern und Türme aus gefrorenem Rauch und silbrigem Eis vor ihm erhoben. Mit einem Gedanken brachte er den Geflügelten Geist in Sichtweite des Kaiserlichen Palastes zum Stehen und landete sacht auf dem dunklen Boden, während er seinen Geist reinigte. Die Stadt vor ihm vibrierte von lebhaften, geisterhaften Bildern, den kurzlebigen Visionen der träumenden Einwohner. Calabos konzentrierte sich auf den inneren Kern der Stille, um den er den Gedankengesang des Geflügelten Geistes wand …
Die Innere Stille veränderte sich, formte eine Öffnung, ein Tor in die gähnende Unendlichkeit der Leere, einen Weg hindurch … der nur Gedanken und Worten offen stand.
Ayoni.
Sofort glitt seine Astralleib weiter, passierte die grauen, durchsichtigen Tore der Stadt, tauchte in die dichten Schatten der Erde und des Felsens unter der Spitze der Klippe. Der Geflügelte Geist trug ihn vom Palast fort nach Norden, überquerte mit ihm den Vaale, hielt sich an die Viertel nahe der Bucht und flog parallel zum Ufer. Calabos erkannte ihr Ziel, noch bevor die stark befestigten Mauern in Sicht kamen. Sie wirkten wie steile, aschgraue Vorhänge, auf deren Bastionen schimmernde Umrisse von Soldaten patrouillierten. Es war die Schleuse von Hubranda, eine der drei größten Garnisonen von Sejeend. Calabos spürt Ayonis Gegenwart irgendwo in dieser Garnison, zusammen mit anderen Auren, die er kannte. Tangaroth und sein Oberster Magier, mehr als ein Dutzend Herzöge und Barone und auch Shumond, der Lordkommandeur der Ehernen Garde. Als er seine Wahrnehmung ausdehnte, bemerkte er, dass mehr als tausend Soldaten in der Kaserne untergebracht waren. Weitere Truppen, Fußsoldaten und Kavallerie, wälzten sich in langen Kolonnen durch die Straßen zu der Kaserne. Hier wurde eine Armee zusammengezogen, und Calabos war klar, dass Ilgarion die Besatzungen der beiden anderen Kasernen Dremari und Kanoth vollkommen abgezogen haben musste, um so viele Truppen zu versammeln.
Eine kleine Veränderung seiner Position verriet ihm, dass Chellour ebenfalls in der Kaserne festgehalten wurde. Von Dybel dagegen war kein Lebenszeichen zu erkennen.
Was hat Ilgarion mit dieser Armee vor?, dachte er. Sicher wollte er als Reaktion auf den Brand des Tagfrieds einen Vergeltungsschlag führen, aber die Hauptstreitmacht der Gestalter-Theokratie stand in Süd-Anghatan und in West-Honjir. Um über eine so große Entfernung hinweg zuzuschlagen, brauchte der Kaiser ein weit größeres Heer, und musste dazu noch angreifbare und unsichere Nachschubwege in Kauf nehmen. Es deutete jedoch nichts daraufhin, dass er so etwas vorbereitete, also musste das Ziel seines Vergeltungsschlages näher liegen und kleiner sein. Zum Beispiel die Wallfahrer, die sich vor Besh-Darok versammelten.
Ja, dachte Calabos, das passt genau in Ilgarions armseliges, egozentrisches Weltbild. Aber was will er von Chellour und der Gräfin? Und wo ist Dybel…?
Er klärte erneut seinen Geist und als sein inneres Portal zur Leere sich zögernd auftat, konzentrierte er seine Wahrnehmung auf einen Namen.
Dybel.
Plötzlich setzte er sich wieder in Bewegung, wirbelte durch die gespenstischen Gebäude der Stadt, fegte durch die transparenten Wände und Dächer, die in einem Strom von perlmuttfarbenen Schatten an ihm vorüberhuschten. Aus dem Wirbel erhoben sich die steilen Klippen westlich des Vaale, die der Geflügelte Geist in einem eleganten Bogen in westlicher Richtung umrundete, bevor er sich sanft über die Dächer erhob. Noch während er das Gronanvel-Tal entlangflog, fühlte Calabos eine Wesenheit, die auf ihn reagierte, einen erschreckten Blick, der sich auf ihn richtete, gefolgt von einer Lanze schwärzesten Hasses, die nur einen Moment zu spüren war. Doch dieser Augenblick genügte. Calabos erkannte den Gestank dieser Wesenheit von dem verhexten Ruf der vergangenen Nacht.
Der Geflügelte Geist trug ihn weiter und wurde langsamer, als er an den Bezirken vorüberflog, die von Webern, Weinhändlern und Gerbern bewohnt wurden. Er durchquerte bunt schillernde Gebäude, näherte sich weiter dem Fuß des Felsens und glitt in die Richtung, in der verschiedene Schuppen und Werkstätten lagen,
Weitere Kostenlose Bücher