03 - Sinnliche Versuchung
Lehnsessel standen vor dem breiten, steinernen Kamin. Ein
Tischchen und zwei Stühle standen in der Nähe. Ihr Blick fiel auf einen Teller
in der Mitte des Tisches. Plötzlich merkte sie, dass sie hungrig war und setzte
sich. Was der Räuber auch mit ihr vorhatte, verhungern ließ er sie nicht.
Sie wickelte Brot
und Käse aus und nahm sich von Jedem ein großes Stück. Es war eine schlichte
Kost, aber Julianna glaubte, nie etwas Köstlicheres gegessen zu haben, das auf
erlesenem Porzellan und Kristall serviert wurde. Eine kleine Flasche köstlichen
Weins stand sogar bereit.
Als sie ihren
Hunger gestillt hatte, jagten wieder die wildesten Gedanken durch ihren Kopf.
Die Elster hatte nichts mit den Räubern ihrer Vorstellung gemeinsam. Das heißt
nicht, dass sie mit Männern seiner Sorte bekannt war! Aber er hatte Recht,
überlegte sie und verspeiste das letzte Stückchen Käse. Man sollte seine Feinde
nicht unterschätzen. Und wenn er klug war, sollte er sie nicht unterschätzen.
Sie wischte sich den
Mund ab und blickte auf den schweren Holzschrank ihr gegenüber. Sie schaute
kurz hinein und stellte fest, dass alles sorgfältig eingeräumt war. Sie
entdeckte sogar den Koffer, den sie für ihre Reise nach Bath gepackt hatte.
Unwillkürlich gab
sie einen freudig überraschten Laut von sich. Ihr Widersacher war so umsichtig
gewesen ihre Sachen mitzunehmen.
Vorsichtig, warnte sie eine
Stimme. Vergiss nicht, auf seinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt.
Ein ernüchternder
Gedanke. Zweifellos hatte er ihn nur in dem Glauben genommen, dass er Schmuck
und andere Wertsachen enthalte! Wieder streifte ihr Blick durch den Raum.
Irgendetwas kam ihr merkwürdig vor. Langsam begriff sie und schalt sich eine
dumme Gans. Dies war keineswegs die Behausung eines armen Menschen. Die Möbel
waren massiv und zeugten von bester Handwerkskunst. Kein Lager am Boden, sondern
ein richtiges Bett. Die Bettwäsche, auch der Wein, ließen auf einen
kostspieligeren Lebensstil schließen.
Aha! Als Räuber war
er also auch sehr erfolgreich.
Sie wischte sich
den Staub von den Händen und stand auf. Der Schmerz im Kopf begann
nachzulassen, nicht aber der Verdruss darüber, dass er sie eingesperrt hatte.
Der Elende! Sie ging zur Tür und zerrte und rüttelte am Schloss. Ohne Erfolg.
Dann überprüfte sie
in aller Ruhe die Fenster. Es waren insgesamt vier. Zwei auf jeder Seite der
Tür. Sie war enttäuscht und entmutigt. Die Fenster waren winzig und oben in die
Wand eingesetzt. Auch wenn sie sich auf einen Schemel stellte, konnte sie nicht
hinausklettern. Sie waren zu hoch.
Unsinn! Er hatte
Recht. Es gab keine Möglichkeit zur Flucht.
In diesem
Augenblick entdeckte sie einen Leinensack in der Ecke neben dem Schrank. Sie
war dabei, ihn aufzubinden, hielt aber kurz bei einem Anflug von Schuldgefühl
inne. Sie kam sich vor, als schnüffele sie unerlaubt im Haus eines Fremden
herum ... und das tust du auch, schalt sie eine innere Stimme.
Aber dies hier
waren schließlich außergewöhnliche Umstände. Kurz entschlossen band sie ihn auf
und schaute hinein.
Der Sack war voller
Banknoten! Dieser Dieb!
Maximilian rieb
sich an ihrem Bein.
»Du solltest deinem
Herrchen sagen, dass man sich seinen Lebensunterhalt auch auf anständige Art
verdienen kann und nicht mit Stehlen.«
Als Antwort drückte
Maximilian den Kopf unter ihre Handfläche und wollte gestreichelt werden.
Mit einem Seufzer
setzte sich Julianna auf einen der Sessel am Kamin. Maximilian sprang ihr auf
den Schoß, trat mehrere Male in ihren Bauch, bevor er sich zusammenrollte, die
Augen schloss und zufrieden schnurrte.
Julianna
streichelte sein Fell und freute sich über seine Gesellschaft. Eigentlich
müsste sie sich dieser Gedanken schämen, aber wenn dies vorübergehend ihr
Gefängnis sein sollte, dann war sie froh, dass es zumindest gemütlich war. Vorübergehend. Das betete sie sich vor. Im Augenblick konnte sie hier nicht weg, aber wie
es schien, hatte sie alle Zeit der Welt, um einen Fluchtplan zu schmieden, und
genau das hatte sie vor.
Den restlichen Tag
verbrachte Julianna in Muße. Gegen Abend hatten die Kopfschmerzen nachgelassen
und sie fühlte sich besser. Sie wusste nicht, wie spät es war und orientierte
sich an der Färbung des Himmels, den sie durch die Fenster sah. Allmählich
zogen die Schatten in die Hütte ein. Die Nacht nahte und einen Augenblick lang
sah sie den Mond hoch oben am Himmel stehen.
Die Elster war noch
nicht zurückgekehrt.
Die verschiedensten
Gedanken
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