03 - Tod im Skriptorium
und sie sagte, es handele sich um ein Gedicht.«
»Meinst du nicht, daß es ein Teil eines Testaments sein könnte?«
»Warum sollte es jemand für so wichtig halten, daß er es vernichten wollte?« fragte sie, erwartete aber keine Antwort von Cass.
Sie gingen zurück durch den leeren Saal der Bibliothek. Ein vorbeikommender Mönch sah sie neugierig an.
»Suchst du Schwester Grella?« fragte er höflich.
Fidelma bejahte es.
»Wenn sie nicht in der Tech Screptra ist, dann sicher in ihrem Zimmer.«
»Wo finden wir das?« fragte Cass.
Der Mönch beschrieb es ihnen.
Das Zimmer der Bibliothekarin von Ros Ailithir war jedoch verlassen. Fidelma klopfte vorsichtig zweimal an. Sie versicherte sich, daß der Gang leer war, bevor sie die Klinke hinunterdrückte. Wie erwartet, war die Tür nicht verschlossen.
»Rasch hinein, Cass«, befahl sie ihm.
Er folgte ihr etwas widerwillig, und als er eingetreten war, schloß Fidelma die Tür und suchte tastend nach einer Kerze.
»Das ist sicher nicht recht, Schwester«, murmelte Cass. »Wir sollten dieses Zimmer nicht ohne Erlaubnis betreten.«
Fidelma entzündete die Kerze, trat einen Schritt zurück und sah Cass spöttisch an.
»Als dálaigh am Gericht kann ich das Recht in Anspruch nehmen, eine Person oder einen Raum zu durchsuchen, wenn ein begründeter Verdacht auf ein Vergehen vorliegt.«
»Dann glaubst du also, daß Schwester Grella ihren früheren Ehemann und Schwester Eisten umgebracht hat?«
Fidelma winkte ihm zu schweigen und begann das Zimmer zu durchsuchen. Für jemanden, der acht Jahre in der Abtei verbracht hatte, wies Schwester Grellas Zimmer äußerst wenige persönliche Gegenstände auf. Ein Gebetbuch lag neben dem Bett und dazu ein paar Toilettenartikel, Kämme und dergleichen. Fidelma fand einen großen Krug mit einer Flüssigkeit, roch mißtrauisch daran und verzog die Lippen zu einem Lächeln. Es war cuirm , ein starker Met, der durch Gärung gemalzter Gerste gewonnen wurde. Anscheinend trank Schwester Grella gern in der Einsamkeit ihres Zimmers.
Sie wandte sich den wenigen Kleidern zu, die an Haken an der Wand hingen, doch ohne rechtes Interesse. Sie gaben nichts her. Halbherzig durchwühlte sie einen Beutel, der zwischen den Kleidern hing, nur um nichts zu übersehen. Zuerst glaubte sie, er enthielte nur ein paar Stücke Unterzeug. Sie holte sie hervor und besah sie sich beim Schein der Kerze. Dann fiel ihr plötzlich ein Leinenrock auf.
»Cass, schau dir das mal an«, flüsterte sie.
Der Krieger beugte sich vor.
»Ein gestreifter Leinenrock, na und … Was …?«
Er hielt inne und begriff plötzlich, was er vor sich hatte.
»Blau und rot. Wie die Streifen, mit denen Dacán gefesselt wurde.«
Fidelma prüfte den Saum des Rocks. Hier war tatsächlich ein langer Streifen abgerissen worden. Sie stieß einen leisen Pfiff aus.
»Dann ist Grella die Mörderin!« verkündete Cass aufgeregt. »Hier ist der Beweis.«
Fidelma war ebenso aufgeregt, aber ihr juristischer Verstand mahnte sie zur Vorsicht.
»Es ist nur der Beweis, woher der Stoff stammte, mit dem Dacán gefesselt wurde. Doch diese Kleider sehen nicht so aus, als würden sie von der Bibliothekarin einer Abtei getragen. Allerdings scheint Schwester Grella auch keine typische Bibliothekarin zu sein. Für alle Fälle kannst du bezeugen, Cass, wo ich den Rock gefunden habe.«
»Gern«, stimmte der Krieger zu. »Ich sehe keinen Grund zum Zweifeln. Grella hat dich über ihr Verhältnis zu Dacán belogen, und jetzt finden wir das hier! Ist da noch ein weiterer Beweis nötig?«
Fidelma antwortete nicht, sie steckte die anderen Stücke wieder in den Beutel, verstaute den Rock aber in ihrem marsupium . Dann ging sie zum Bett, um auch noch einen Blick darauf zu werfen. Ihr Fuß stieß gegen eine Erhebung im Boden, die nicht nachgab, und ein heftiger Schmerz zuckte durch ihren Fuß.
Sie beugte sich sofort nieder und untersuchte die Stelle. Es war ein loser Ziegelstein im Boden, an dem sie sich gestoßen hatte. Er ragte etwas über die anderen Steine hinaus und bewegte sich leicht, als sie ihn berührte.
»Hilf mir mal, Cass«, wies sie ihn an.
Der Krieger nahm sein langes Messer, schob es unter den Stein und hob ihn an. Darunter war ein Hohlraum. Fidelma leuchtete mit ihrer Kerze hinein und holte ein Bündel Pergamentblätter hervor. Sie rollte sie auf und studierte die sorgfältige Schönschrift.
»Dacáns Aufzeichnungen«, flüsterte sie. »Grella hielt sie die ganze Zeit
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