03 - Tödliches Vermächtnis
auf, wischte die Feuchtigkeit und den Straßenstaub mit der Hand ab.
»Das ist fürs Hotel.«
»Sie sind Köchin?« Tom wog eine Packung Chilis in der Hand und ließ sie in der Tragetasche verschwinden.
»Ich bin die Tochter des Hauses. Das Hotel gehört meinem Vater, aber ich leite es – für gewöhnlich.«
»Hier in der Nähe?« Tom musterte die Frau. Sie mochte Ende zwanzig sein, vielleicht auch schon den dreißigsten Geburtstag gefeiert haben, mehr aber auf keinen Fall. Sie war knapp über einen Meter siebzig groß, und ihr Lächeln, als sie seinem Blick begegnete, gefiel ihm. Mit einer leicht verlegen anmutenden Geste streifte sie ihr brünettes Haar hinters Ohr zurück.
»Ich suche zufällig gerade eine Unterkunft.« Er deutete auf seinen Koffer. »Nicht nur für eine Nacht, sondern für mehrere. Falls ich bei Ihnen … wohnen kann?« Beinahe hätte er »Unterschlupf finden« gesagt.
Von der U-Bahn aus hatte er sich gestern sofort in sein bisheriges Hotel begeben und ausgecheckt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Pauahtun und die anderen herausfinden würden, wo er abgestiegen war. Und wenn nicht der Mann in Weiß und seine Indios, dann die Polizei. Die Nacht hatte Tom auf der Straße verbracht, immer in Bewegung.
Die Frau nickte knapp. »Kein Problem, Señor …«
»Thomas. Meine Freunde sagen Tom zu mir.« In diesem Moment hoffte er, vielleicht ohne Anmeldeformalitäten unterzukommen. Ansonsten würde er eine Erklärung dafür finden müssen, warum er seinen Ausweis vermisste.
»Ich bin Maria Luisa … Suárez«, fügte sie rasch hinzu. Sie wollte ihm die Hand reichen, hielt aber immer noch einige Packungen fest. Ihr Lachen, als das Händeschütteln misslang, klang amüsiert.
Keine zehn Minuten später standen sie vor dem in einer Seitenstraße gelegenen Hotel, dem »Último Refugio«. Tom zögerte einen Moment. Die Bezeichnung »Hotel« fand er schon auf den ersten Blick hoffnungslos übertrieben. Eine billige Absteige in maroder Umgebung, das traf es schon eher. Aber war es nicht genau das, was er momentan brauchte?
»Ich lebe hier mit meinem Vater und meinem Bruder«, sagte Maria unbekümmert. »Meine Mutter hatte vor acht Jahren einen tödlichen Unfall. Seitdem sorge ich für die beiden.«
Tom nickte knapp. »Hat das Haus Internetanschluss?«, fragte er.
»Nein. Wozu? Ist das für Sie wichtig?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Tom. Er verwünschte den Verkäufer in Madrid, der ihm das defekte Netbook angedreht hatte, aber das ließ sich jetzt nicht ändern. Und ein paar Tage ohne Internet, bis erstes zartes Gras über alles gewachsen war … warum nicht?
Maria Luisa stieß die Eingangstür mit der Schulter auf. Sie war mit losen Konservendosen bepackt. Tom folgte ihr, er trug seinen Koffer und die Taschen in beiden Händen.
Ein düsterer schmaler Vorraum empfing ihn; die Rezeption war eigentlich nur eine umgerüstete Abstellkammer mit Telefon, einer uralten mechanischen Schreibmaschine und Stapeln von Papier. An den Wänden hingen mit Reißnägeln befestigte Ansichtskarten, die wohl die Weltoffenheit des Hauses betonen sollten.
»Wir stellen den Einkauf in die Küche, dann zeige ich dir dein Zimmer.«
Die plötzlich vertrauliche Anrede überraschte Tom, doch er schwieg dazu. Eigentlich sehnte er sich nur noch danach, endlich das Artefakt in Augenschein nehmen zu können und sich dann ein paar Stunden Schlaf zu gönnen.
»Hä?« Eine Bassstimme grunzte verwirrt, als Tom die Taschen abstellte. »Raus aus der Küche!«
In einer Ecke zwischen Tisch und Schrank saß ein schmerbäuchiger, unrasierter Mann. Hart stellte er eine Weinflasche auf den Tisch neben ihm. Tom schätzte ihn auf um die sechzig.
»Das ist ein Gast, Papá«, protestierte Maria Luisa. »Er hat mir beim Tragen geholfen.«
»Mir egal«, maulte der Dicke. »Raus aus der Küche! Sofort!«
Tom schob die Taschen zur Seite und zog sich wortlos zurück.
»Es tut mir leid«, sagte Maria hinter ihm. »Sie dürfen nicht glauben, dass Álvaro immer so ist. Es ist nur … seit Mutters Tod ist er anders, Sie verstehen?«
»Durchaus«, sagte Tom. Da war es wieder, das distanziertere »Sie«. Maria schien nicht recht zu wissen, wie sie ihn behandeln sollte. Womöglich schreckte sie vor sich selbst zurück.
»Und mein Bruder ist auch etwas … anders«, fuhr sie fort. »Er lebt in seiner eigenen Welt.«
Tom verzichtete darauf, nachzufragen. Ihm war klar, dass der Alte seinen Verstand versoff.
Ein paar Minuten später
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