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03 - Winnetou III

03 - Winnetou III

Titel: 03 - Winnetou III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ausgestochene Rasenstück obenauf. Kein Mensch konnte nun sehen, daß hier ein Loch gegraben worden war.
    Gott sei Dank! Das war gelungen – – – wenigstens so dachte ich. Ich horchte. Es ließ sich nicht das geringste Geräusch vernehmen; ich hatte also Zeit, das Leder zu öffnen. Es war mit den Spitzen gegeneinander, wie ein Couvert, zusammengelegt. Ein zweites lag drin, dessen umgeschlagene Spitzen Winnetou mit Hirschsehne zusammengenäht hatte. Ich schnitt es auf und sah das Testament, welches aus mehreren eng beschriebenen Pergamentblättern bestand.
    Sollte ich es verbergen, oder durfte ich es lesen? So fragte ich mich. Warum es verstecken? Es gab ja keinen Grund hierfür. Wenn meine drei Gefährten zurückkehrten und mich lesen sahen, was konnten sie dagegen haben? Wußten sie, was es war? Ein Brief oder sonst etwas, was ich seit langem bei mir trug. Sie hatten nicht einmal das Recht, nach dem Papier zu fragen. Und wenn sie dies taten, so konnte ich antworten, wie es mir beliebte. Dabei zog, nein, riß es mir förmlich die Augen auf, zu sehen, was Winnetou geschrieben hatte. Ja, geschrieben! Winnetou konnte schreiben. Klekih-petra war, wie in vielem andern, sein Lehrer auch in dieser Fertigkeit gewesen; nur hatte der herrliche Apache wenig Gelegenheit gefunden, sie auszuüben. Er hatte zuweilen eine Bemerkung in mein Notizbuch gemacht; ich kannte also seine Schrift; sie war nicht schön, nicht ausgebildet, aber höchst charakteristisch. Sie glich der Schrift eines vierzehnjährigen Schulknaben, welcher sich Mühe gegeben hat, kalligraphisch zu schreiben.
    Ich konnte es doch nicht lassen, setzte mich nieder und schlug die Blätter auseinander. Ja, das war Winnetous Schrift: die Buchstaben von peinlich genau derselben Länge und Lage, nicht wie geschrieben, sondern mit Hingebung einzeln gezeichnet und gemalt. Wo hatte er diese vielen Zeilen wohl geschrieben, und wie lange, wie sehr lange mochte er darüber zugebracht haben. Meine Augen gingen mir über; sie füllten sich mit Tränen. Ich trocknete sie und las:
    „Mein lieber, guter Bruder!
    Du lebst, und Winnetou, der Dich liebte, ist tot. Doch seine Seele weilt bei Dir; Du hältst sie in Deiner Hand, denn sie steht geschrieben auf diesen Blättern; laß sie auf Deinem Herzen ruhen!
    Du sollst den letzten Wunsch Deines roten Bruders erfahren und viele Worte von ihm lesen, die Du nie vergessen wirst; zunächst aber laß Dir sagen, was am nötigsten ist. Du hast hier nicht das einzige Testament von Winnetou, denn er legte auch eines in die Ohren seiner roten Krieger; dieses hier ist nur für Dich.
    Du wirst sehr viel Gold sehen und mit demselben tun, was mein Geist Dir jetzt sagt. Es lag im Nugget-tsil verborgen, doch Santer, der Mörder, trachtete danach. Darum hat Winnetou es fortgeschafft nach dem Deklil-to (Dunkeln Wasser), wo Du einst mit ihm gewesen bist. Erfahre die Stelle, an welcher es sich befindet. Du reitest den Indelt-sche-tschil (Fichtenwald) empor bis zu dem Tseschosch (Fels des Bären) am fallenden Wasser. Dort steigst du vom Pferd und kletterst – – –“
    Bis hierher hatte ich gelesen, als ich eine Stimme hinter mir hörte:
    „Good day, Mr. Shatterhand! Ihr versucht Euch wohl im Buchstabieren?“
    Ich wendete mich um und sah, daß ich vorhin die größte Dummheit oder Nachlässigkeit meines Lebens begangen hatte. Zehn Schritte hinter mir hatte ich die Turkeyhennen hingeworfen und auch die Gewehre hingelegt. Ich saß nicht mit dem Rücken, sondern mit der rechten Seite an das Grabmal gelehnt, also mit dem Rücken nach dem Weg, welcher aus dem Tal heraufführte. An dieser unverzeihlichen Stellung war der Eifer für den letzten Willen Winnetous schuld. So hatte ich nicht sehen können, daß der, welcher jetzt zu mir sprach, sich hinter mir zu den Gewehren geschlichen hatte, die mir nun nicht mehr erreichbar waren, denn er stand dort und hatte seine eigene Büchse auf mich angelegt. Ich fuhr mit einem Ruck empor, denn der Mann war kein anderer als – – – Santer!
    Im nächsten Augenblick hatte ich beide Hände am – – – ja, wo? Am Gürtel, um die Revolver zu ziehen? Ja, das wollte ich, aber als ich vorhin an der Erde kniete, um das Loch zu graben, hatte mich der Gürtel mit den Gegenständen, welche darin steckten, gehindert und gedrückt und ich war im Gefühl der vermeintlichen Sicherheit so unvorsichtig gewesen, ihn abzuschnallen und hinzulegen; nun lag er am Boden und bei ihm auch noch das Messer. Ich war also

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