03 - Winnetou III
werden. Diese kleinen, dünnen Klingen pflegen sehr scharf zu sein. Ich brauchte nur ein solches Messer, um bald frei zu sein. Darum antwortete ich getrost:
„Ich verspreche es. Ihr könnt, um ganz sicher zu sein, die Waffen ja auch mit hinausnehmen!“
„Nein, das ist nicht nötig. Was Old Shatterhand verspricht, das hält er sicher. Aber das genügt noch nicht.“
„Was noch?“
„Du könntest, da du einmal vom Baum los bist, die Flucht auch ohne diese Waffen und in anderer Weise ergreifen. Willst du mir versprechen, dies jetzt nicht zutun?“
„Ja.“
„Wieder zum Baum des Todes zurückzukehren und dich anbinden zu lassen?“
„Ich gebe dir mein Wort darauf!“
„So kommt heraus! Old Shatterhand ist kein Lügner wie Santer; wir dürfen ihm vertrauen.“
Als sie das Zelt verlassen hatten und ich mich allein in demselben befand, war es mein erstes, eins dieser Messer unter den zugeknöpften linken Ärmelbund meines Hemdes zu schieben; dann erst beschäftigte ich mich wieder mit der Frau.
Ihr Mann war auf der Jagd; das hatte Santer benutzt, bei ihr einzudringen. Seitdem war so lange Zeit vergangen, und sie lag noch immer besinnungslos da. Das konnte nicht nur eine durch den Schreck verursachte Ohnmacht sein, sondern es war eine tiefere Betäubung. Ich griff ihr also an den Kopf und fühlte, daß der Oberschädel in der Gegend der Pfeilnaht stark geschwollen war. Als ich drückte, stieß die Frau einen schmerzlichen Seufzer aus. Ich drückte wieder und wieder, bis sie die Augen öffnete und mich ansah, erst stier und ohne Gedanken; dann aber hauchte sie meinen Namen „Old Shatterhand!“
„Kennst du mich?“ fragte ich.
„Ja.“
„Besinne dich! Werde nicht wieder ohnmächtig, sonst bleibst du tot! Was ist geschehen?“
Meine Drohung, daß sie tot bleiben würde, war von guter Wirkung. Sie gab sich Mühe, raffte sich zusammen, richtete sich mit meiner Hilfe sitzend auf, legte die Hände auf den schmerzenden Kopf und sagte:
„Ich war allein; er kam herein und verlangte die Medizin; ich gab sie ihm nicht; da schlug er mich.“
„Wo war die Medizin? Ist sie fort?“
Sie blickte nach einer Stange empor und rief erschrocken, natürlich mit matter Stimme:
„Uff! Sie ist fort! Er hat sie genommen! Als er mich schlug, fiel ich hin; weiter weiß ich nichts.“
Erst jetzt fiel es mir ein, daß Pida gestern gesagt hatte, daß er die Papiere sehr sorgfältig in der Medizin verbergen werde. Und heut, eh Santer fortritt, rühmte er sich, sie mit der ganzen Emballage zu besitzen. Er hatte also die Papiere samt der Medizin mitgenommen. Dem Häuptling Pida war also die Medizin gestohlen worden, ein beinahe unersetzlicher Verlust! Er mußte, um sie wieder zu erhalten, den Dieb sofort verfolgen.
„Bist du jetzt stark genug, wach zu bleiben? Oder wirst du wieder umfallen?“ fragte ich.
„Ich falle nicht“, erklärte sie. „Du hast mir das Leben wiedergegeben; ich danke dir!“
Da stand ich auf und öffnete die Zeltmatte. Vater und Schwester standen nahe derselben, weiterhin die Dorfbewohner.
„Kommt herein!“ forderte ich die beiden auf. „Die Tote ist wieder lebend geworden.“
Welche Freude diese Worte hervorbrachten, brauche ich nicht zu sagen. Vater und Tochter und dann mit ihnen später auch alle Kiowas waren überzeugt, daß ich ein wirkliches Wunder getan hatte. Es gab für mich keinen Grund, ihnen zu widerstreiten. Ich verordnete natürlich nichts als Umschläge und zeigte ihnen, wie diese zu machen seien.
So groß diese Freude, war dann auch die Wut über das Verschwinden der Medizin. Dies mußte natürlich Tangua gemeldet werden, welcher dem Dieb sofort eine Kriegerschar nachschickte und auch mehrere Boten aussandte, die Pida suchen sollten. Ich wurde von ‚Eine Feder‘ wieder nach dem Baum des Todes geführt und dort angebunden. Er war meines Lobes voll und strömte von Dankbarkeit über, freilich nur nach Indianerart.
„Wir werden dir nun noch viel größere Qualen am Pfahl bereiten, als wir vorher wollten“, versicherte er mir. „Noch nie soll ein Mensch so gelitten haben wie du, damit du in den ewigen Jagdgründen der größte und höchste aller Bleichgesichter werdest, welche die Erlaubnis bekommen, dort einzuziehen.“
Danke! dachte ich; laut aber sagte ich:
„Hättet ihr Santer sofort verfolgt, wie ich es verlangte, so wäre er wieder in eure Hände geraten; nun aber wird er wahrscheinlich entkommen!“
„Wir fangen ihn! Seine Spur muß deutlich zu lesen
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