030 - Bei den drei Eichen
dem nächsten Morgen konnte nichts mehr unternommen werden; beide waren auch zu abgespannt, um noch für etwas anderes Interesse aufbringen zu können als für die komfortablen Betten des Hotels ›Zur Krone‹. Doch bevor Socrates schlafen ging, führte er noch ein Telefongespräch mit Molly - zu Lexingtons lebhaftem Ärger, denn er erfuhr davon erst hinterher.
Nach einem zeitigen Frühstück bestiegen Soc und Lexington das gemietete Auto. Meile um Meile einer öden Landschaft glitt an ihnen vorüber, bis der Wagen die steilen Gassen von Ashburton hinuntersauste und auf der anderen Hügelseite zu einem einsamen Moor emporkletterte.
»Das muß es sein«, sagte Socrates und wies auf ein Gebäude, daß sich als einziges am Horizont abhob. »Merkwürdig, Dartmoor ist dafür bekannt, daß es keine Bäume dort gibt, und trotzdem scheint diese Farm von einem Wall von Bäumen umgeben zu sein.«
»Nein, Sir, das sind keine Bäume«, mischte sich der Fahrer ein, der die Bemerkung gehört hatte, »es ist eine Mauer«.
»Dann muß sie aber eine stattliche Höhe haben«, erwiderte Socrates erstaunt.
»Sie hat ja auch doppelt soviel gekostet wie der ganze Besitz wert ist«, erklärte der Mann. »In der ganzen Gegend heißt die Farm deshalb auch ›Franzmanns Spleen‹.«
In der Tat wies die Mauer eine derartige Höhe auf, daß sogar das Dach des Gebäudes nicht mehr sichtbar war, als der Wagen in ihrem Schatten anhielt.
»Sehr groß ist die Farm ja gerade nicht!« meinte Socrates etwas enttäuscht.
»Es ist Überhaupt keine Farm«, erwiderte grinsend der Fahrer. »Ein Häuschen, weiter nichts! Seinen Namen hat es von einem fünfzehn Minuten entfernten Pfuhl, durch den ein kleiner Bach fließt. Manchmal kann man dort recht fette Forellen fischen.«
Die beiden Brüder gingen um das ganze Besitztum herum, das ein regelmäßiges Viereck bildete - jede Seite fünfundzwanzig Meter lang. Große Glasscherben krönten wie Zinnen die fünf Meter hohe Mauer, und der einzige Eingang in diesen Festungswall war ein starkes Tor aus dicken Eichenbohlen.
»Nun werden wir uns mal das Innere ansehen, Lex«, sagte Socrates.
Er versuchte den großen Schlüssel mit dem Metallschild, der sich aber anfänglich widerspenstig zeigte. Da Smith jedoch in weiser Voraussicht ein Ölkännchen mitgenommen hatte, dessen Inhalt er in das Schlüsseloch träufelte, hatte sein zweiter Versuch mehr Erfolg. Mit grellem Kreischen drehte sich der Schlüssel, und knarrend öffnete sich das Tor ein paar Zentimeter weit. Ein neues Hindernis mußte überwunden werden, denn auf der Innenseite wuchs ein großer Strauch und preßte sich mit seinen Zweigen gegen den Torflügel.
»Das Tor ist mindestens zwanzig Jahre nicht mehr geöffnet worden. Lex, laß dir vom Fahrer die Axt geben, die ich heute morgen gekauft habe.«
Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis sie sich durchzwängen konnten und in dem einstigen Garten standen, der jetzt eine wahre Wildnis von schulterhohem Gestrüpp und Unkraut war. Die Fenster des kleinen Hauses waren von Läden versperrt, und über dem Ganzen hing eine Atmosphäre von Verfall und Trostlosigkeit, die selbst durch den strahlenden Sommermorgen nicht verscheucht wurde.
»Es hat keinen Zweck, den Garten abzusuchen. Wir wollen uns lieber auf das Haus beschränken. Komm!« forderte Socrates nach einem kurzen Rundblick seinen Bruder auf.
Auch das Haustürschloß gehorchte erst nach einer ausgiebigen Ölung; mit markerschütterndem Quietschen drehte sich die Tür in den Angeln. Vor den Brüdern lag eine geräumige, fliesenbelegte Diele. Dicker Staub lagerte auf dem Eichentisch und dem Stuhl, die nebst einer von Spinnweben verschleierten Hängelampe die einzigen Einrichtungsgegenstände waren. Von den beiden vorhandenen Türen öffnete Socrates die linke, was ein eiliges Trippeln winziger Pfoten zur Folge hatte.
»Mäuse!« konstatierte er. »Denn Ratten lieben das Moor nicht.«
Dann tappte er zum Fenster und stieß die Läden auf.
Das Zimmer war ebenfalls nur mit wenigen Möbeln ausgestattet, deren Qualität man nicht mehr beurteilen konnte. Der Teppich war fast ganz von Generationen von Mäusen zernagt worden, die seine Wolle zu warmen Nestern benutzt hatten, und die Staubschicht auf den Bildern war so dick, daß man nicht einmal ahnen konnte, was sie darstellten.
Im anderen Raum, der etwas größer und mit zwei Fenstern versehen war, strömte ihnen ein eigenartiger Modergeruch entgegen, der dem ersten Zimmer nicht anhaftete. Der
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