030 - Die Teufelshexe
Entsetzen fuhr das Mädchen herum.
»Was...? Wer...?« japste sie.
»Dreh nicht durch, ich bin’s, Martha«, flüsterte die Freundin. »Was tut Percy da draußen?«
»Er spielt verrückt. Keine Ahnung, ob das Monster dort draußen ist oder bloß ein anderer Köter, der in den Garten eingedrungen ist.«
»Hier unten im Erdgeschoß sind alle Fenster vergittert. Und beide Türen sind zu. Hier kommt niemand ’rein«, beruhigte Martha sie. »Geh du ’rauf, ich halte jetzt Wache.« Fröstelnd zog sie den Morgenmantel um sich zusammen und griff in die Tasche nach der Waffe.
»Nach Anruf wird sofort geschossen, Kitty«, sagte sie. »Wir dürfen uns keinen Schnitzer leisten. Beim Schießen, das haben wir auf der Polizeischule gelernt, darf man nie Zweitbester sein.«
»Wer sagt dir, daß das Monster sich einer Schußwaffe bedient?« Kitty ging zur Treppe. »Bisher hat es doch bewiesen, daß es eine Vorliebe für stumme Waffen mit scharfen Klingen besitzt!«
***
Gundel hatte nur einen Ausweg gesehen: Sie tauchte von neuem und kraulte am Seeboden entlang zum anderen Ufer. Sie verfing sich an einer Schlingpflanze und hatte Mühe, sich zu befreien. Als sie wieder auftauchte, bemerkte sie den Schatten der Mörderin am Ufer, und sie wußte, daß es für sie unmöglich sein würde, aus dem See zu steigen, ohne daß die Hexe sie empfing.
»Du entkommst mir nicht, komm ’raus...«
Gundel wollte etwas antworten, aber es ging ja nicht. Angstvoll paddelte sie in der Mitte des Sees auf der Stelle. Sie wußte nicht mehr weiter.
Gerade, als der Mond wieder voll am Himmel stand, segelte etwas auf sie zu.
Ein Messer mit blitzender Klinge raste auf sie zu.
Gundel sah bewegungslos der Mordwaffe entgegen.
Erst im allerletzten Augenblick ließ sie sich wieder in die Tiefe sinken.
Die Hexe wollte sie genauso töten wie ihren Onkel Paul.
Solange sie noch Atem in ihren kleinen Lungen hatte, blieb sie unten. Ihre vor Kälte ganz starren Hände tasteten auf dem Seeboden entlang. Und da fühlten sie eine Vertiefung im See. Gundel wußte nicht, daß hier ein kleiner Waldbach in den See mündete.
Sie wußte nicht einmal, daß dieses Loch sie vor der Mörderin schützen konnte.
Instinktiv drängte sie ihre schmale Gestalt durch die Vertiefung. Und jetzt mußte sie auftauchen.
Zaghaft kam sie mit dem Kopf an die Oberfläche. Blätter und Äste prallten ihr ins Gesicht.
Gundel sah sich um.
Ihr Kopf befand sich unter einem Baum. Und die Hexe stand dort drüben immer noch am Ufer und stierte auf die silberne Oberfläche des Sees.
Ganz deutlich konnte Gundel die Frau erkennen, die ihr den Rücken zugewandt hatte.
Atemlos blieb Gundel liegen und sammelte ihre Kräfte. Ihr Kopf tat noch immer höllisch weh, aber auch zum Weinen hatte Gundel jetzt keine Zeit.
Wieder wandte sie ihre Taktik von früher an: Langsam bewegte sie sich im Bach weiter, bemüht, im Wasser keinen Laut zu verursachen. Es war nicht so einfach, denn sie zitterte vor Kälte und hatte nur einen Wunsch, das eisige Wasser zu verlassen.
Die Angst vor der Hexe aber war größer. Schritt für Schritt entfernte sie sich mehr in dem flachen Bach von dem See und der tödlichen Gefahr.
Dann aber trat etwas ein, das sie von neuem verriet: Gundel schreckte einen Dachs auf, der erschrocken aufkreischte.
Gundel erschrak. Eine neue Gefahr? Was war das?
Doch Äste brachen, und der Dachs verschwand eilig unter dem Gebüsch. Schon wollte Gundel im Bach weiterwaten, da bemerkte sie eine Bewegung zwischen den Bäumen.
Nein, die Hexe hatte sich nicht täuschen lassen. Da kam sie... Langsam, um nicht bemerkt zu werden...
Sie will mir weh tun, genau wie Onkel Paul! dachte Gundel.
Noch war die Mörderin weit genug entfernt. Hier im Bach, riet Gundel eine innere Stimme, konnte sie vor der Hexe nicht fliehen.
Gundel sprang aus dem Bach, stolperte über einen Baumstumpf und raffte sich wieder hoch. Sie hetzte quer durch den Wald, dem Wahnsinn nahe vor Kälte, Angst und Grauen.
Sie sah sich nicht um, doch sie wußte, daß die Hexe ihr folgte. Und sie konnte ebenso rasch laufen wie sie.
Ohne daß Gundel es wußte, näherte sie sich bei ihrer Flucht wieder der Stadt. Der Wald umgab die Stadt von drei Himmelsrichtungen her. Jetzt lief Gundel nach Osten.
Wie lange Gundel so gelaufen war, wußte sie nicht.
Ihr Verstand war ausgeschaltet. Nur grenzenlose Furcht beherrschte sie und zwang sie, zu rennen, solange sie noch ihre Beine bewegen konnte.
Und dann tauchte ein langgestrecktes Haus
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